DIE AUSEINANDERSETZUNG UM DIE KOPFBEDECKUNG


DIE AUSEINANDERSETZUNG UM DIE KOPFBEDECKUNG IN DER GEMEINDE VON KORINTH UND IHRE BEDEUTUNG FÜR DIE CHRISTENHEIT HEUTE

A. DAS MILIEU, IN DEM DIE GEMEINDE JESU CHRISTI IN KORINTH IHR CHRISTSEIN BEWÄHREN MUSSTE
1. Die Sittenlosigkeit
Die Stadt Korinth war im Altertum weit und breit für ihre Sittenlosigkeit bekannt. Das Verb "korinthisieren" war gebräuchlich zur Bezeichnung sexueller Unmoral. (1) Der Ausdruck "korinthisches Mädchen" war gleichbedeutend mit "Prostituierte". Die vielen Attraktionen Korinths waren sprichwörtlich; daher auch die Redensarten "Nicht jeder kann es sich leisten, nach Korinth zu segeln" oder "wie ein Korinther leben" (d.h. ein ausschweifendes, liederliches Leben führen). (2)
Wie war es in dieser Stadt zu solcher Sittenlosigkeit gekommen?
Erstens trug die geographische Lage zum Aufkommen einer "außergewöhnlichen" Sittenlosigkeit bei: Korinth hatte zwei große Seehäfen. Kenchreä (gr. Kenchreai) lag im Südosten der Stadt, am Saronischen Golf des Ägäischen Meeres. Der westliche Hafen hieß Lechaeum und lag am Golf von Korinth, der zum Ionischen Meer gehört. Die Lage Korinths zwischen Ägäis und Ionischem Meer begünstigte seinen Aufstieg zur reichen Handelsstadt. Durch den Zustrom ehrgeiziger römischer Staatsbürger sowohl griechischer als auch italienischer Herkunft ließ die Stadt auch zu einem berühmten Kulturzentrum werden. Dabei hatten diese römischen Staatsbürger natür­lich auch ihr religiöses "Gepäck" mit nach Korinth gebracht. Seeleute, Geschäftsleute und sonstige Besucher überfluteten die Stadt ständig. Der sexuelle Nachholbedarf der rauen Seeleute sowie die vergnügungssüchti­gen Händler schürten die Unmoral. (3)
Zweitens trug das religiöse Leben der Einwohner zum Aufkommen der Sittenlosigkeit bei. Auf dem Akrokorinth oberhalb der Stadt gab es einen großen Aphrodite-Altar, das Zentrum des religiösen Lebens der Korinther. Hier lebten an die 1000 Mädchen, die im Dienst der religiösen Prostitu­tion standen. (4) Aphrodite wurde als Göttin der Liebe, Schönheit und Fruchtbarkeit verehrt. Dieser Göttin weihten sich Hunderte von Tempelpriesterinnen bzw. -dirnen (Hierodulen, d.h. Tempelsklavinnen), die im Rahmen der orgiastischen Aphroditefeiern in Erscheinung traten. (5) Die geweihten jungen "Priesterinnen" hatten zur Aufgabe, sich während der Fruchtbarkeitsfeier den anwesenden Männern in sexuellen Orgien hinzu­geben. Damit "sicherte" jeder Beteiligte Mann für sich und seine Gattin gesunde Nachkommenschaft sowie reiche Ernte für die Familie.(6) Die verheirateten Männer genossen im Altertum große sexuelle Freizügigkeit, sei es mit hochgebildeten, politisch einflussreichen Freundinnen, sei es mit Tempeldirnen - oder mit Knaben. Solche Beziehungen galten damals als "normal". (7) Nicht zu übersehen ist, dass die Tempeldirnen unter den Ein­wohnern von Korinth in hohem Ansehen standen. Laut den Inschriften an den Ruinen eines großen Theaters hatten sie dort reservierte Sitzplätze! (8)
Resümee: In römischen Zeiten bzw. zur Zeit des Apostels Paulus war die Stadt Korinth eine der reichsten und verwöhntesten Städte Europas. Der Reichtum förderte die Vergnügungssucht. Selbstverständlich kam der Aphroditekult dieser Einstellung von Korinther Bürgern, Seeleuten und Händlern sehr gelegen. Nicht selten verfielen auch Christen der Versuchung, an den Orgien auf dem Akrokorinth teilzunehmen (vgl. 1Kor 6,13-20).
2. Die "Emanzipation" der Frau
Ungeachtet der Verehrung der Griechen für überirdische weibliche Wesen behandelten die Männer ihre Frauen noch im 5. Jh. v.Chr., als ob sie nur dazu geschaffen wären, weitere Generationen männlicher Griechen aufzuziehen. Die Frauen hatten sich vorwiegend im Haus aufzuhalten, um ihren Platz in der Gesellschaft zu behaupten. Nur zu bestimmten religiösen oder familiären Anlässen durfte sie das Haus verlassen; die Besorgungen wurden von Sklaven erledigt.
Eine gewisse Liberalität unter bestimmten Umständen trat ab 431 v.Chr. ein. In Sparta z.B. begann man Mädchen sportlich und hart wie die Jungen für den Dienst am Vaterland zu erziehen. Der griechische Dramatiker Euripides schrieb darüber: "Spartanische Mädchen dürfen mit jungen Männern ausgehen, mit ihnen um die Wette laufen und sich raufen."(9) Nach und nach wurde es griechischen Frauen auch anderswo gestattet, ein verhält­nismäßig freies Leben zu führen. Viele wohlhabende Mädchen durften sich in Dichtung, Musik und Tanz ausbilden lassen. Unter anderem bereitete man sie auch auf die Ehe vor. (10) "Sobald sie vierzehn sind", schrieb der Philosoph Epiktet (um 50-138 n.Chr.), "werden Frauen von den Männern als 'Damen' bezeichnet, und wenn sie erkennen, dass sie nur dazu da sind, Bettgenossen der Männer zu sein, beginnen sie sich schön zu machen..." (11)
Eine verheiratete Frau durfte aber keinesfalls ohne Schleier z.B. zu öffentlichen Spielen gehen. Publius Sempronius ließ sich sogar einzig deswegen von seiner Frau scheiden, weil sie unverschleiert ausgegangen war. (12) Warum war er so streng mit seiner Frau? In Korinth trugen nur die so zahlreichen Geliebten verheirateter Männer und die Tempeldirnen keine Kopfbedeckung. Die Sklavinnen und die ertappten Ehebrecherinnen mussten in der damaligen Gesellschaft zusätzlich ihre Haare abschneiden. Auf diese Weise unterschied man damals "ehrwürdige" Ehefrauen von Mätressen, Tempeldirnen und Ehebrecherinnen. (13)
Der Zorn des Publius Sempronius ist im Blick auf diesen kulturellen Hintergrund verständlich. Er konnte nicht dulden, dass seine Gemahlin sich ohne Schleier in der Öffentlichkeit zeigte und damit den Verdacht heraufbeschwöre, zur Kategorie der Geliebten, Tempeldienerinnen und Ehebrecherinnen zu gehören. Mit ihrem Verhalten brachte sie auch ihren Mann in Verruf - als habe er kein Anrecht mehr auf seine Ehefrau. (14)
3. Die philosophischen Strömungen
Nach Korinth kamen auch umherziehende Philosophen wie Apollonius von Tyana oder der Kyniker Demetrius. Beide versuchten durch ihre Lehrtätig­keit auf den Märkten dem moralischen Zerfall entgegenzuwirken.
Apollonius lehrte eine Seelenwanderungstheorie und die damit verbundene Trennung von Seele und Leib. Er leitete davon die Forderung ab, ein streng geregeltes Leben zu führen, um als Götterwesen wiedergeboren zu werden. Er wirkte viele Wunder und wurde auch mit Jesus verglichen. Zudem ist er als Kritiker von Kaiser Domitian in die Geschichte eingegan­gen. (15) Der Kyniker Demetrius lehrte Bedürfnislosigkeit als höchste Tugend und einzige Voraussetzung der Glückseligkeit. Er lehnte alle übrigen Werte, vor allem staatliche Gesetze und religiöse Traditionen, ab. (16) Diese beiden Wanderprediger hatten zwar einen gewissen Einfluss auf einen Teil der Korinther, aber sie vermochten die Unmoral keines­falls auszumerzen. Denn die Bürger der Stadt waren zu sehr an ihren Fruchtbarkeitskult mit sexuellen Orgien gebunden, um den Lehren solcher Philosophen Folge zu leisten.
B. DIE CHRISTLICHE GEMEINDE VON KOR1NTH
Der Apostel Paulus sah sich vom Herrn Jesus Christus nach Korinth geführt, um dort den Gekreuzigten zu predigen (1Kor 1,26-31). Der Apostel blieb 18 Monate in Korinth. Wenn er nicht predigte, arbeitete er zusam­men mit Aquila und Priscilla, d.h. er webte Zelttücher oder richtete Leder für Zeltbahnen zu. Ihre kleine offene Werkstatt befand sich wahr­scheinlich in einem Säulengang an der breiten Lechaionstraße unmittelbar vor dem prächtigen Torbau, durch den man auf den Marktplatz gelangte. Dort arbeiteten sie vom frühen Morgen bis zum späten Nachmittag, mit einer Pause von elf bis vier Uhr, während die große Hitze herrschte. (17) Schließlich entschloss sich Paulus zur Rückkehr nach Antiochien in Syrien. Von Kenchreä reiste er nach Ephesus, nachdem er sich aufgrund eines Ge­lübdes den Kopf hatte scheren lassen (Apg 18,18). Aus dieser Gegend stammte auch eine gewisse Phöbe, die als Diakonisse der Gemeinde von Kenchreä genannt wird (Rö 16,1). Es sei auch erwähnt, dass in der Stadt Korinth recht viele Juden lebten, denen der Apostel nachzuweisen ver­suchte, "dass Jesus der Messias ist" (Apg 18,5ff).
1. Die apostolische Lehre von der christlichen Emanzipation der Frau
a) Die Frau in der Zeit des Alten Testaments
Zu beachten ist das Milieu, in dem die christliche Urgemeinde sich zu bewähren hatte. Die Stellung der Frau in der damaligen Welt muss nicht immer "sklavischen" Charakters gewesen sein. Die damals verbreitete Vor­stellung, dass die Frau nur als Bettgenossin des Mannes einen Wert habe, stimmt mit den Aussagen des Alten Testaments keinesfalls überein. Die Frau ist laut 1Mo 2,18ff tatsächlich als ergänzendes Gegenstück zum Mann geschaffen worden. Sie wurde in die Organismen Ehe und Familie eingeordnet und hatte innerhalb der Familie eine einflussreiche Stellung (1Mo 16,5f; 27,5ff; 2Mo 20,12; 1Kön 1,11ff; 21,5ff; 2Kön 4,8ff; 8,18; Am 4, 1ff), ganz besonders als Mutter (2Mo 20,12; 5Mo 5,16; 21,18ff). Es gab nicht wenige israelitische Frauen, die in der Geschichte eine entscheidende Rolle spielten (Debora in Richter 4,4ff; Hulda 2Kön 22,14-20; Esther) oder sogar königliche Gewalt ausübten (2Kön 11,1ff). Auch im religiösen Leben des Volkes hatte die Frau durchaus ihren Platz (2Mo 15,20f; 2.Kön 22,14ff; usw.), doch trat sie bei den offiziellen religiösen Handlungen in den Hintergrund. (18)
Im Judentum hatten Frauen wie Männer (ab den 1.Jh.) den Kopf bedeckt. Anders als bei den Griechen hatte die Kopfbedeckung bei den Juden eine religiöse Bedeutung: In der Gegenwart Gottes verhüllte sich der Israelit mit der Kopfbedeckung oder dem Mantel (2Mo 3,6; 1Kön 19,13); daher behält der Jude beim Gebet die Kopfbedeckung auf und überdeckt sie noch mit dem Gebetsmantel. Die semitischen Männer wie Frauen benutzten ein Kopftuch (Jes 3,20; 61,10; Ez 24,17), eine eingeschnittene Spitzmütze, die die Ohren freiließ, oder eine Turban artige Wicklung (vgl. 2Mo 28,40). Die Frauen trugen auch eine griechische Mitra (Jdt 10,3), ein Stirnband, eine Kappe oder ein dreieckiges, im Nacken herabhängendes Tuch wurden von beiden Geschlechtern getragen. (19) Man sollte nicht vergessen, dass es bei den damaligen Juden zwischen den Geschlechtern kaum Kleidungsunterschiede gab. (20) Solche Unterschiede kamen erst später auf, und zwar zuerst in der griechischen und römischen Welt.
b) Die Frau im Neuen Testament
Die Frau spielt nach dem NT im Missionswerk und im Leben der christlichen Urgemeinde eine beachtenswerte Rolle (Apg 16,12ff; 18,26; Rö 16,1f; 1Tim 5,9f). Sie steht an der Seite ihres Mannes als Miterbin der Gnade (1Pet 3,7; vgl. Lk 7,50; 8,1-3; 23,49.55; 4,27; usw.), denn in Christus ist weder Mann noch Frau (Gal 3,28). Diese soteriologische und eschatologische (heilsgeschichtliche und endzeitliche) Gleichstellung der Frau mit dem Mann übersieht aber nicht die Verschiedenheit von Mann und Frau. Dies geschieht im Blick auf ihr Zusammenwirken in Ehe oder Gemeinde. Es handelt sich dabei um Gemeinschaftsformen, die man als etwas Organisches betrachtet; dem entspricht der neutestamentliche Vergleich der Gemeinde mit einem Körper und seinen verschiedenen Gliedern (vgl. 1Kor 12,12ff; Gal 3,28b). So wird im Blick auf die Schöpfungsgeschichte der Mann, der der erste Mensch war, als "Haupt" der Frau bezeichnet (1Kor 11, 3ff; 2Tim 2,12f; Eph 5,22ff). Aus diesem Grund werden Frauen im NT aufgefordert, sich ihren Männern unterzuordnen (Eph 5,22ff; Kol 3,18; 1Tim 2, 11ff; Tit 2,5; 1Pet 3, 1ff), auch in den Gemeinden das Lehren (1Tim 2,12) und die "letzten" Entscheidungen ihren Männern zu überlassen (vgl. 1Kor 14,34ff; "schweigen", gr. "sigao": der Befehlssatz "so sollen die Frauen in den Versammlungen schweigen" könnte vom Griechischen her auch als "ruhig/verschwiegen sein" oder gar als "aufhören, etwas Unordentliches zu sagen" übersetzt werden,(21) obwohl die meisten Übersetzer "sigao" mit "schweigen" wiedergeben). Denn es handelt sich um eine schöpfungsmäßige Ordnung und keinesfalls um ein Werturteil. Mann und Frau haben nicht verschiedene Rechte, sondern unterschiedliche Verantwortung (vgl. Eph 5,21ff). Interessanterweise wird in 1Kor 15,28 dem Christus im Rahmen letztzeitlicher Gottesherrschaft über alles ein Gottvater untergeordneter Platz mit der gleichen Vokabel zugewiesen, die für die Stellung der Frau gegenüber ihrem Mann verwendet wird. In Christus ist die menschliche Ordnung vollendet. Denn nur durch die Gemeinschaft mit Christus kann von der Frau die eheliche Unterordnung unter den Mann erwartet werden (Eph 5,22); und der Mann kann zu einer Liebe aufgefordert werden, die der Liebe Christi zur Gemeinde entspricht (Eph 5,25). (22)
Das Neue Testament emanzipiert die Frau von allen Wertunterschieden. Diese revolutionäre Lehre veranlasste die korinthischen Frauen, sich auch entsprechend (wie sie meinten) zu verhalten. Wie die Gattin des Publius Sempronius kamen sie unverschleiert in den Gottesdienst, zeigten sich unverschleiert auch an sonstigen öffentlichen Plätzen und erregten damit bei Nichtchristen den Verdacht, sie seien Hetären (Geliebte) oder Tempeldirnen vom Akrokorinth (?). War solch ein Verhalten eine gute Voraussetzung für das Evangelisieren unter der Bevölkerung der Stadt? Keinesfalls!
2. Die kulturelle Anpassungsfähigkeit des Apostels Paulus
"Denn wiewohl ich frei bin von allen, habe ich mich doch allen zum Knecht gemacht, um ihrer desto mehr zu gewinnen. Den Juden bin ich wie ein Jude geworden, auf dass ich die Juden gewinne; denen, die unter dem Gesetz sind, bin ich geworden, als wäre ich unter dem Gesetz - obschon ich nicht unter dem Gesetz bin -, damit ich die unter dem Gesetz gewin­ne; denen, die ohne Gesetz sind, bin ich geworden, als wäre ich ohne Gesetz - wiewohl ich nicht ohne göttliches Gesetz lebe, sondern in dem Gesetz Christi -, damit ich die gewinne, welche ohne Gesetz sind. Dem Schwachen bin ich wie ein Schwacher geworden, damit ich die Schwachen gewinne; ich bin allen alles geworden, damit ich allenthalben etliche rette. Alles aber tue ich um des Evangeliums willen, um an ihm teilzu­haben" (1Kor 9,19-23).
a. Die paulinische Anpassung an die Juden
Laut Apg 18,22 lehrte der Apostel Paulus 18 Monate in Korinth. Dann beschloss er, das Passahlamm in Jerusalem zu feiern. Und da er Jude war, entschied er sich, das Gelübde eines Nasiräers (?) abzulegen. Dieses Gelübde gab dem Apostel Gelegenheit, seine Treue zum Judentum zu demon­strieren (Apg 18,18; 21,23f). Paulus wollte damit vermutlich auch Gott Dank bekunden für die Errettung aus Gefahr, doch ist grundsätzlich zuerst an die jüdische Anpassung zu denken (vgl. Apg 21,24.26), die Paulus Gelegenheit bieten sollte, das Evangelium unter den Juden zu verkündigen. (23) Der Apostel musste für eine bestimmte Zeit auf berauschende Getränke und auf das Scheren des Haupthaares verzichten. Dieses Gelübde konnte nur am Jerusalemer Tempel gelöst werden: Dort ließ man sich das Haar scheren und brachte Opfer dar, (24) wobei das abgeschnittene Haar ins Feuer geworfen wurde, auf dem das Opfertier gekocht wurde... So hat­te Paulus die Freiheit, den Juden ein Jude zu werden (1Kor 9,20). Er hatte sich zwar gegen jeden Versuch gewandt, das Heil im Gesetzesgehor­sam zu finden, aber er verbot keineswegs jegliche Gesetzesobservanz unter Juden. (25)
Paulus hatte immer bestritten, dass das mosaische Gesetz als Heilsordnung dienen könne. Nichtsdestoweniger hielt er es für notwendig, Timotheus beschneiden zu lassen (Apg 16,3), bevor er ihn auf seine Missionsreise mitnahm. Timotheus stammte aus einer in jüdischen Augen illegitimen Mischehe zwischen einem griechischen Mann und einer jüdischen Frau. Es ist mir schleierhaft, wieso Timotheus nicht schon als Kind beschnitten wurde, denn die Kinder aus solchen Ehen galten als Juden und waren darum zu beschneiden. (26) Jedenfalls musste Paulus das Unterlassene nachholen, und zwar vom missionsstrategischen Gesichtspunkt aus. Denn die Zugehö­rigkeit eines jüdischen "Abtrünnigen" zu seinem Mitarbeiterkreis hätte das Verhältnis des Paulus zu den Juden grundsätzlich belasten müssen. (27) Aus seinem Vorgehen ergibt sich die Folgerung, dass sich der Apostel Paulus den Juden einzig und allein anpasste, um erfolgreicher unter ihnen das Evangelium verkündigen zu können (vgl. Apg 17,2ff; 18,4ff; usw.).
b) Die paulinische Anpassung an die Nationen
Es ist undenkbar, dass Paulus in den Synagogen ohne Kopfbedeckung mit den Juden Unterredungen geführt hätte. (28) Aber dann erhebt sich die Frage, wie der Apostel sich dann unter den Nicht Juden verhielt. Denn seine Aus­sage "denen, die ohne Gesetz sind, bin ich geworden, als wäre ich ohne Gesetz" (1Kor 9,21) lässt viele Fragen offen. Jedenfalls scheint Paulus weit davon entfernt gewesen zu sein, die heidnischen Völker das Gesetz Mose zu lehren. Ihm ging es - z.B. in Korinth - einzig und allein um "Jesus Christus, und zwar als Gekreuzigten" (1Kor 2,2); den Philippern versicherte er: "...für mich ist Christus das Leben, und Sterben ist mein Gewinn" (1,21); den Galatern beteuerte er: "...ich bin durchs Gesetz dem Gesetz gestorben, um Gott zu leben, ich bin mit Christus gekreuzigt... Christus lebt in mir" (2,19f). Selbstverständlich hatte er mit den Juden wie mit den Heiden dieselbe Absicht: sie für Christus zu gewinnen. Seine Evangelisationstaktik war unter den Juden anders als unter den Nationen. Die Juden versuchte er anhand des Alten Testaments zu überzeugen, dass Jesus der Messias sei (vgl. Apg 17,10b-11); unter den Griechen knüpfte er an die Voraussetzungen seiner Hörer bzw. an die In­schrift eines Tempelaltars an (Apg 17,23ff) oder verwies auf griechische Dichter (Apg 17,28; vgl. Tit 1,12); er arbeitete auf den Marktplätzen, wo er die Methode des Sokrates benutzte und die Passanten und Umher stehenden in Gespräche über das Heil durch Christus verwickelte.(29)
Es war für Paulus und seine Mitarbeiter durchaus nicht schwer, sich äußerlich an die jeweiligen Umstände anzupassen. Denn letztlich ging es dem Apostel nicht um Formen, Gewohnheiten oder Traditionen, sondern um Christus und nochmals Christus allein. Einzig aus dem Glauben in Chri­stus sollten auch entsprechende Verhaltensregeln und ethische Grundsätze "entspringen" (vgl. 1Kor 6,15-20; 1,13a; Eph 5,22-33; usw.). Nichts erhob Paulus zum Gesetz, sondern für ihn war ein Leitmotiv gültig, das auch uns zum Nachdenken über unser Verhalten bringen müsste: "Alles ist mir erlaubt; aber nicht alles frommt! Alles ist mir erlaubt, aber ich will mich von nichts beherrschen lassen" (1Kor 6,12). "Alles ist mir erlaubt" war ein korinthischer Slogan, der das Leben der Korinther be­stimmte. Die Anknüpfung an diese Lebensdevise brauchte eine Zusatzerklärung, und die wurde auch gegeben. Ich darf mir, wo immer ich mich auch befinde, alles erlauben, aber ich muss aufpassen, denn "nicht alles frommt" (nicht alles ist zuträglich, hilft, nützt) und "nichts darf mich beherrschen", auch sollte ich meinem Bruder oder meiner Schwester in Christus nicht zum Anstoß werden (1Kor 8,10-13; Rö 14,21; Mt 18,6-14).
c) Der Apostel Paulus und seine Mitarbeiterinnen
Der Apostel Paulus hatte eine besonders herzliche und enge Beziehung zu manchen christlichen Frauen. Viele dienten gemeinsam mit ihm am Evangelium (Phil 4,2.3b); der gemeinsame Dienst verband den Apostel mit diesen Frauen (Rö 16,3), und eine von ihnen ersetzte ihm sogar die Mutter (Rö 16,13). Sie waren seine Mitstreiter und Mitarbeiter am Evangelium, aber dennoch sah es der Apostel als notwendig an, dass die Frau sich trotz ihrer HEILS- und endzeitlichen Gleichstellung mit dem Mann der Schöp­fungsordnung Gottes fügen sollte (vgl. Gal 3,26-29 mit Eph 5,22ff). Sie hatte das Recht, in den öffentlichen Versammlungen zu beten und zu weis­sagen, aber so, dass sie weder ihren Mann noch die Gemeinde Christi durch ihr Verhalten in Verruf brachte (vgl. 1Kor 11,3-16). Denn auch die Frau sollte sich an die jeweilige Kultur anpassen, um nicht durch ihr Verhal­ten unter den Mitmenschen Anstoß zu erregen, sondern vielmehr sie für Jesus Christus gewinnen zu können.
3. Das Verhalten der christlichen Frau im Gottesdienst (1Kor 11,2-16)
a) Lob des Apostels für die Korinther Gemeinde (11,2)
Die Korinther Christen duldeten zwar Unmoral, Rechtsstreit und andere tadelnswerte Verhaltensweisen in der Gemeinde (1Kor 5+6), aber keine Irrlehre: sie hielten an den Überlieferungen des Apostels fest. Sie hat­ten wohl das Alte Testament zur Verfügung, denn Judenchristen gab es da auch (Apg 18,1-8). Die Heidenchristen konnten sich der jüdischen Schriften bedienen, aber die Evangelien waren noch nicht vorhanden, und so mussten sie sich an die "Überlieferungen" des Paulus orientieren, um nicht in die Gesetzlichkeit der Juden zu verfallen. Die Korinther missverstanden zwar die Gnade; ihre Freiheit wurde ihnen zur Freizügigkeit; doch dies ließ sich korrigieren, solange die Gemeinde noch an der "heilsamen Lehre" (vgl. 2Tim 4,3; Tit 1,9; 2,1-10 mit Heb 13,9) festhielt. Darum schickt Paulus der Ermahnung hier ein Lob voraus, denn die Korinther Christen hatten den Apostel und seine Lehre nach wie vor in Erinnerung.
b) Die Reihenfolge der Schöpfungsordnung (11,3)
Die Korinther hielten an den "Überlieferungen" fest, aber einiges wussten sie dennoch nicht. "Ich will aber, dass ihr wisst", leitet der Apostel den nächsten Vers ein. Wenn der Schreiber des Briefes die Empfänger an etwas erinnern oder zu einer Überlegung auffordern wollte, begann er jeweils mit der Frage "Wisst ihr nicht...?" (3,16; 5,6; 6,2; 9,24). Aus unserem Text geht dagegen hervor, dass die Korinther von dieser Ordnung Gottes noch nicht in Kenntnis gesetzt worden waren (11,3; vgl. Eph 5,22-33).
i. Gott ist das Haupt des Christus (V. 3d): Das griechische Wort "kephale" heißt "Haupt, Kopf oder auch Quelle" und wurde in der griechischen Welt niemals im Sinne von Überlegenheit oder Übermacht verstanden, sondern im Sinne von Herkunft, Abstammung und Ursprung.(30) So sprach Jesus Christus davon, dass er vom "Vater" gesandt worden war (Joh 5,36; 6,57; 8,28f; 10,15.29f -"der Vater" ist zwar größer als alle, auch als Christus, vgl. 14,28, aber dieser sagte dennoch: "Ich und der Vater sind eins", Joh 10,30; vgl. 1,14.18). Die Herkunft des Christus ist vom Vater, und er ordnet sich ihm freiwillig unter, "auf dass Gott alles in allem sei" (1Kor 15,28).
ii. Christus ist das Haupt jeglichen Mannes (V. 3c): Diese Aussage ist nicht einfach zu verstehen. Wahrscheinlich sollte hier die Reihenfolge weiter durchdacht werden. Die Existenz Christi besteht in der Existenz Gottes; so verdankt der Mann seine Existenz der Existenz Jesu Christi, der die Ursache aller Schöpfung ist (Kol 1,16f). Selbstverständlich bezieht sich dieser Gedanke auch auf die Frau, aber das war nicht die Quintessenz der betrachteten Aussage des Apostels.
iii. Der Mann ist das Haupt der Frau (V. 3b): Paulus sagt nicht, der Mann sei der Herr der Frau. (Die theologische Deutung des Begriffs „Unterordnung“ per se müsste einer erneuten biblischen Revision unterworfen werden). Seine Aussage bezieht sich auf die Schöp­fungsordnung von 1Mo 2,18-23: (1) Die Frau wurde als Gehilfin bzw. als "ergänzender Teil" des Mannes erschaffen; (2) ursprünglich verdankt die Frau ihre Existenz dem Mann: sie wurde gemäß dem biblischen Schöpfungsbericht aus der Rippe des Mannes gebaut (1Mo 2,21f). Die Naturwissenschaft kann schwerlich mit der biblischen Darstellung der Erschaffung der Frau fachlich arbeiten, aber Paulus glaubt dem Schöpfungsbericht von Genesis 2 und begründet seine Argumentation über die Reihenfolge der Entstehung der Geschlechter gerade mit diesem Bericht.
iv. Fazit: Christus verdankt seine Herkunft Gott dem Vater; der Mann verdankt seine Herkunft Jesus Christus, durch den alles erschaffen wurde (Kol 1,16); die Frau verdankt ihre Herkunft dem Mann, aus dessen Rippe sie erschaffen wurde. Man kann selbstverständlich die Schlussfolgerung ziehen, dass Paulus hier die Unterordnung im Auge hatte. Dennoch sollte man aus dem Wort "Unterordnung" keine "Überlegenheitsfolgerung" ziehen (vgl. Gal 3,28, kontra Grosheide, vgl. Anm., 39).
c) Zwischenbemerkung (ll,7b-9)
i. Der Mann kommt nicht von der Frau (11,8): Die Herkunft des Mannes ist direkt von Gott abzuleiten. Denn er wurde einzig für den göttlichen Dienst erschaffen und bestimmt. Gott suchte dem Mann eine Gehilfin unter den Geschöpfen, "aber für den Menschen fand sich keine Gehilfin, die ihm entsprochen hätte" (1Mo 2,20). Der Mann entsprach Gottes Vorstellung von einem Aufseher über alle lebende Kreatur (vgl. 1Mo 1,31). In diesem Sinne ist der Mann "Gottes Bild und Ehre" (1Kor 11,7; vgl. 1Mo 1,27).
ii. "Die Frau" wurde "um des Mannes willen erschaffen" (11,9b): Gott fand keine Gehilfin für den Mann unter den lebenden Kreaturen und schuf ihm daher eine Frau, und zwar aus seiner Rippe. Sie wurde für den Mann erschaffen und ist somit seine Ehre (11,7). Der Mann ist also "nicht um der Frau willen erschaffen, sondern die Frau um des Mannes willen" (11,9b). Es wäre falsch zu vermuten, dass Paulus die Ebenbildlichkeit Gottes für die Frau verneinen würde. Der Mann ist die Krone der Schöp­fung, so auch die Frau. Man könnte mit Recht sogar argumentieren, dass die Frau der Gipfel der Schöpfung sei. Denn es fand sich niemand auf der Erde, der des Mannes würdig war, außer der erschaffenen Frau. So ist sie "Gottes Bild und des Mannes Ehre" (vgl. 1Kor 11,7). (31)
d) Die Partnerschaft der Geschlechter (11,11f)
Gott allein ist der Grund für das menschliche Dasein, für die Heterosexualität und Fortpflanzung (1Mo 1,28). Der Mensch hat seine Herkunft von Gott; er ist schlicht gottgewollt. Mensch ist er im wahrsten Sinne, wenn beide Geschlechter eine Partnerschaft bilden; in der christlichen Gemeinschaft ergänzen sie sich, ob verheiratet oder unverheiratet. "Doch ist im Herrn weder die Frau ohne den Mann, noch der Mann ohne die Frau" (11,11). Die Existenz des einen hängt von der Existenz des andern ab. Gäbe es keine Frau, so gäbe es auch keinen Mann, und umgekehrt. "Denn gleich wie die Frau vom Manne (kommt), so auch der Mann durch die Frau; aber das alles von Gott" (11,12). Damit eine Einheit da ist, die dem Willen Gottes entspricht, braucht es zwei: den Mann und die Frau (1Mo 2,24). Nicht Bedürfnislosigkeit, wie sie der Kyniker Demetrius lehrte, braucht der Mensch, sondern die gegenseitige Ergänzung, wie die Bibel sie proklamiert, bzw. die Anerkennung einer Abhängigkeit: weder der Mann noch die Frau könnte ohne den andern existieren.
e) Die Argumentation für oder gegen die Kopfbedeckung (ll,4-7a,10.13-16)
i. Der Mann braucht beim Beten oder Weissagen seinen Kopf nicht zu bedecken (11,4.7a): Die Römer beteten ihre Götter wie die Juden ihren Gott mit bedecktem Kopf an. Die theologische Begründung bestand darin, dass Frauen und Männer unverhüllt nicht vor Gottes Heiligkeit bestehen können. (32) Für die Juden war die Kopfbedeckung ein Schutz zwischen ihnen und ihrem Gott. Sie bedeckten ihren Kopf auch als Zeichen der tiefsten Betrübtheit sowie großer Freude (Ez 24,17; vgl. Jes 3,20; 61,3). Jedenfalls trugen im Judentum beide Geschlechter eine Kopfbedeckung - daran zweifelt wohl kaum jemand. (33) Anders war es in der griechischen Welt.
Die Ehefrauen lebten zwar eher im Hintergrund und durften sich nicht ohne Schleier in der Öffentlichkeit zeigen, aber die Anbetung verrichte­ten sie ohne Kopfbedeckung, genau wie auch die griechischen Männer. Denn vor ihren Göttern waren sie wohl gleich. (34)
Der Apostel Paulus argumentiert in 1Kor 11,3, "dass Christus eines jeglichen Mannes Haupt ist". In V. 7 sagt er: "Der Mann hat nämlich darum nicht nötig, den Kopf zu verhüllen, weil er Gottes Bild und Ehre ist." Nun lässt sich daraus folgern: Der Mann soll Gottes Bild und Ehre nicht bedecken - wie die meisten Kommentatoren erklären -, sonst würde er sein Haupt (Christus?) entehren (11,4). Diese Folgerung ist aber mit der Aussage des Apostels kaum gegeben. Laut Paulus ist der Mann das Bild und die Ehre Gottes und hat es darum nicht nötig, seinen Kopf zu bedecken. Von einer Wiederspiegelung des Bildes und der Ehre Gottes in der Glatze oder durch den behaarten Kopf des Mannes ist hier keine Rede. Es wäre lächerlich, das in der Aussage des Apostels sehen zu wollen. Man sollte m. E. folgende Schlussfolgerungen aus dem vorliegenden Text in Betracht ziehen und genau überlegen.
Erstens: Aus dem Text geht genau hervor, dass der Mann es nicht nötig hat, während er betet oder weissagt, seinen Kopf zu bedecken. Der Text gibt uns kaum Anhaltspunkte zu behaupten, dieser Befehl gelte einzig im Gottesdienst. Das 11. Kapitel beginnt mit einer Aussage in bezug auf die Treue der Korinther Christen zur apostolischen Lehre "in allen Dingen" (V. 2), d.h. in jeder Situation. Sobald Paulus vom Verhalten im Gottes­dienst zu sprechen beginnt, erwähnt er das ausdrücklich (vgl. 11,18: "Wenn ihr in der Gemeinde zusammenkommt" mit 14,5b: "...damit die Ge­meinde Erbauung empfange", usw.). Es ist wahr, dass Paulus die Weissagung anderswo auf die Erbauung der Gemeinde bezieht, aber in unserem Textab­schnitt fehlt ein entsprechender Hinweis (vgl. Apg 21,11b). Diese Tatsa­che lässt uns schließen: Wo immer der Mann öffentlich betet oder weis­sagt, hat er es nicht nötig, "den Kopf zu verhüllen" (11,7). Es wäre falsch zu behaupten, dass der Mann auch bei anderen Gelegenheiten ohne Kopfbedeckung bleiben müsse; sonst würde er sich im heißen Sommer ja einen Sonnenstich holen oder sich im Winter die Ohren abfrieren. Gewöhnlich gingen die Männer allerdings barhaupt. (35)
Zweitens: Der Mann würde "sein Haupt/seinen Kopf entehren" (11,4b), falls er beim Beten oder Weissagen eine Kopfbedeckung trüge. Manche The­ologen glauben, dass mit "kephale" (als "Haupt" zu übersetzen) einzig das geistliche Haupt, nämlich Christus, gemeint sei. (36) Diese exklusive Interpretation entbehrt aber der Logik. Denn der Mann ist als ganzer "Gottes Bild und Ehre" (V. 7) und nicht allein sein Kopf. Eher meint der Apostel Paulus mit "kephale" die Stellung des Mannes in der jeweiligen Gesellschaft. Der säkulare Grieche durfte sich zusätzlich zur legitimen Gattin noch eine Geliebte oder einen Jungen für homosexuelle Beziehungen leisten. Seine Rechtsstellung in der Gesellschaft mussten die Ehefrau und auch die Kinder respektieren. Hätte der griechische Nichtchrist seine Götter mit "verhülltem Kopf" angebetet, hätte er gehandelt wie eine Frau und sich in der Gesellschaft lächerlich gemacht: er hätte seinen "kephale" entehrt, d.h. sein Status wäre bedroht gewesen! Ein Christ durfte es sich nicht leisten, seine Position in der Gesellschaft in Frage zu stel­len. Die Anpassung war notwendig, um mit "denen, die ohne Gesetz sind", "als ohne Gesetz" zu sein - wiewohl die Christen "nicht ohne göttliches Gesetz" lebten, sondern im Gesetz Christi, damit sie die gewännen, "die ohne Gesetz sind" (1Kor 9,21).
Drittens: Es waren wahrscheinlich die Judenchristen, die den männlichen Heidenchristen die Kopfbedeckung zum Obligatorium machen wollten. Denn dazu hatten sie im Alten Testament genug Hinweise. In Korinth bekehrte sich der frühere Synagogenvorsteher Crispus; Sosthenes - ein Christ -übernahm nach der Amtsniederlegung des Crispus die Leitung. (37) Diese zwei bedeutenden Gelehrten müssen einen wesentlichen Einfluss auf die Gemeinde ausgeübt haben, was möglicherweise die Einführung der Kopfbedeckung bei den Männern zum Beten und Weissagen bewirkt hatte. Obwohl diese Männer theologische Begründungen genug für ihre Stellungnahme hat­ten, gefährdeten sie damit die Position des (heidenchristlichen) Mannes in der Gesellschaft, der in der Tat "Gottes Bild und Ehre" ist, und da­mit war auch die Verbreitung des Evangeliums gefährdet (vgl. 1Kor 9,12). Diesen Sachverhalt muss Paulus erkannt haben, weshalb er nun ent­sprechende Korrekturen einbrachte, damit alles "nur mehr zur Förderung des Evangeliums" ausschlage (vgl. Phil 1,12) und Christus unter den Hei­den nicht "entehrt", sondern verherrlicht werde.
ii. Die Frau hatte es nötig, beim Beten oder Weissagen ihren Kopf be­deckt zu haben (11,5f.13-15).
(a) "Sie soll ihren Kopf bedeckt bleiben lassen": Paulus formuliert keine spezielle Regel für Frauen. Seine Aussage beinhaltet den Gedanken, dass die Frau in der Öffentlichkeit sowieso mit bedecktem Kopf erscheint, und so soll ihr Kopf auch beim Beten und Weissagen bedeckt bleiben. Denn macht sie das nicht, entehrt sie ihren Kopf/ihr Haupt. Wiederum wird allgemein auf V. 3 verwiesen und behauptet, mit "kephale" sei "ihr Haupt", also ihr Ehemann, gemeint. Das ist nicht gänzlich auszuschließen; denn wie der Mann sich in der Gesellschaft mit Kopfbedeckung lächerlich ge­macht und die Verbreitung des Evangeliums gehindert hätte, so umgekehrt auch die Frau, wenn auch in schwerwiegenderem Maße.(37a) Die Kopfbedeckung der griechischen Frau bestand aus einem Schleier (Netz) und Kopftuch, das manchmal den ganzen Kopf bedeckte, oder einen Umschlagetuch, womit man den ganzen Körper umhüllte; auch konnten griechische Frauen in späteren Zeiten eine Kappe oder Haube tragen, aber keine russische Kossynka (Halstuch oder Tragband).(38)
Wenn man in Betracht zieht, dass griechische Frauen und Männer in den Tempeln ohne Kopfbedeckung beteten - was war dann so Anstößiges daran, wenn christliche Frauen ohne Schleier Gebete sprachen und Weissagungen weitergaben? Professor Grosheide meint, Paulus habe gar nicht von den Frauen verlangt, im Gottesdienst "verhüllt" zu beten und zu weissagen, sondern einzig in der Öffentlichkeit, z.B. auf dem Marktplatz, unter Freunden usw.(39) Diese Annahme beruht auf der bereits oben erwähnten Tatsache, dass Paulus in unserem Textabschnitt gar nicht spezifisch von den Zusammenkünften der Christen spricht. Desto schlimmer dann auch das Verhalten der Frau ohne einen "Schleier".
Erstens: Wenn eine Frau ohne Schleier bzw. ohne Kopfbedeckung in der Öffentlichkeit gebetet hätte, so hätte man angenommen, sie sei Mätresse irgendeines verheirateten Mannes oder Hetäre (gebildete Prostituierte für Aristokraten), Porne (eine billige Dirne) bzw. Tempelpriesterin. Damit hätte sie ihren "kephale" (ihren Mann) und ihre eigene Position in der Gesellschaft entehrt.
Zweitens: Professor Grosheides Annahme kann ich nicht beipflichten. Denn ein damaliger Nichtchrist anerkannte doch die Zusammenkünfte der Christen in den Privathäusern gar nicht als "richtige Zeremonie" und die Privathäuser nicht als Gebetsstätten.(40) Eher vermutete man in solchen Zusammenkünften, wie z.B. in Rom, Verschwörungen gegen den Kaiser.(41) Die Tempel wurden als Gebetsstätten gewürdigt, nicht aber die Häuser der Gläubigen.(42) Folglich, hätte man eine Frau ohne Kopfbedeckung im christlichen Gottesdienst beten und weissagen gesehen, dann wäre das Urteil des Nichtchristen über die betroffene Frau genauso ungünstig ausgefallen, wie wenn sie das gleiche auf einem Marktplatz getan hätte.(43)
Drittens: Das Beten und Weissagen der Frau mit unbedecktem Kopf muss aus der heidnischen Praxis übernommen worden sein. Man bekehrte sich von den Abgöttern zu Gott, behielt aber wohl die Form der Anbetung bei. Diese Vermutung schließt das Verlangen der Frauen nach "Emanzipation" nicht aus. Es mag beides angenommen werden: "emanzipatorische" Gründe sowie die Beibehaltung heidnischer Formen. Jedenfalls muss diese Form die Ehe­männer echt in Verruf gebracht haben, denn Paulus schreibt, eine Frau, die unverhüllt bete und weissage, "entehre ihr Haupt/ihren Kopf" (11,5a). Sie legte damit wohl der Verbreitung des Evangeliums ein Hindernis in den Weg. Denn die christlichen Frauen brachten mit diesem Verhalten zum Ausdruck, dass sie nun durch ihren Glauben an Christus im Rahmen ihrer (Glaubens-)Gemeinschaft mit den Männern gleichberechtigt seien und dass somit die Frauen in der Gesellschaft auf den gleichen Status Anspruch hätten wie die Männer. Hätte das in Rom kaum schockiert, so war eine solche Haltung jedoch unter den Griechen unwillkommen, ja suspekt. (44) Denn sie untergrub die Autorität der Männer in der Familie wie in der Gesellschaft. Männer, die sich so etwas gefallen ließen, wurden zweifellos als Weichlinge angesehen, was ihr christliches Engagement am jeweiligen Ort zum Misserfolg verurteilen musste (11,13). (45)
Viertens: Der Apostel Paulus schloss die Möglichkeit für die Frau, unver­hüllt zu beten und zu weissagen, nicht aus. Aber in dem Fall sollte eine Frau sich gleich "das Haar abschneiden" (11,6). Warum dieser Rat? Warum wird Paulus hier leicht sarkastisch ("auf völlig gleicher Stufe mit ei­ner Geschorenen /= öffentlichen Dirne/", 11,5b Menge)? "...ist es aber für eine Frau schimpflich, sich das Haar kurz zu schneiden oder es sich ganz abscheren zu lassen, so soll sie sich verschleiern" (11,6b Menge). Diese Aussage ist ein direkter Hinweis auf die kulturelle Umgebung der Korinther Christen. (1.) Sogar unter den Juden war es Gang und Gäbe, dass eine Frau, die des Ehebruchs verdächtigt (!) war, zum Priester geführt wurde, der sie "vor den Herrn stellte" und ihr als Zeichen des Verdachts auf Ehebruch das Haar auflöste (4.Mo 5,18). Schon der öffentliche Verdacht, sie könnte ihrem Mann untreu geworden sein, brachte einer Frau Schmach und Schande ein. (2.) Das Scheren der Haare galt für eine Frau im Judentum als Zeichen der Trauer (5.Mo 21,10-14). (3.) Wie bereits erwähnt, ließen auch die Korinther eine Frau scheren, falls sie beim Ehebruch ertappt wurde. So war es in Korinth das Zeichen ehelicher Un­treue, wenn eine Frau geschoren war, oder aber - wie Menge in der Über­setzung angibt - Berufsfrisur der Prostituierten. (4.) Nur Sklavinnen trugen damals geschnittene Haare, damit man sie von den andern Frauen unterscheiden konnte.(46) (5.) Fazit: Das Schneiden und Scheren der Haare kam in Korinth für eine anständige Frau keineswegs in Frage, und man kann nur darüber rätseln, wieso der Apostel Paulus in unserem Text diesen sarkastischen Ton gebraucht, um für die christlichen Frauen eine "Neuordnung" einzuführen. Jedenfalls sollte eines für jeden klar sein: Paulus verlangt von den Frauen der Gemeinde ein ehrwürdiges Verhalten in der Gesellschaft und Respektbekundung ihren Männern gegenüber. Denn Paulus wollte nicht, dass Männer oder Frauen wegen eines falschen Verhaltens in Verruf gerieten und damit ihrem christlichen Auftrag nicht mehr nachkommen konnten!
Fünftens: Die Frau sollte ihren Kopf aus Respekt vor ihrem Mann "und um der Engel willen" bedecken (11,10). "Deshalb muss die Frau (ein Zeichen der) Herrschaft auf dem Haupte tragen um der Engel willen" (11,10 Men­ge). Mit der Kopfbedeckung anerkannte die Frau (1.) die Autorität ihres Mannes und (2.) die Schöpfungsordnung Gottes, der auch die Engel unter­stellt sind. "Exousia" ist der griechische Ausdruck, der hier mit "Herr­schaft" (bei Schlachter mit "Gewalt") übersetzt ist; er bedeutet gleich­zeitig auch Recht, Befugnis, Vollmacht, Erlaubnis, Freiheit, Obrigkeit. (47) Das Wort "Zeichen" steht nicht im griechischen Text, wird hier aber allgemein zur Wiedergabe von "Exousia" eingefügt, was wohl nicht so ver­kehrt ist. Die Kopfbedeckung war in Korinth für die verheirateten Frauen ein Zeichen der Vollmacht der Ehemänner über sie. Diese gesellschaftli­che Ordnung sollte keinesfalls verletzt oder abgeschafft werden. Nicht nur die soziale, sondern auch die schöpfungsmäßige Ordnung bzw. die Rei­henfolge sollte berücksichtigt und eingehalten bleiben: zuallererst Gott, dann Christus, dann der Mann und nun die Frau (11,3). So hat es Gott gewollt, damit auf der Erde sowie in der Himmelswelt kein Chaos, sondern Ordnung herrsche (1Kor 14,33; vgl. Heb 1,4-14). Die Engel sind in jeder Versammlung von Christen anwesend (vgl. Lk 15,10; Eph 3,10; Heb 1,14; 12,1; ferner Pred 5,6; 1Kor 4,9; Ps 138,1). Die christliche Ge­meinde hat vor den Engeln die Ordnung Gottes durch Respektbezeugung ge­genüber dem anderen Geschlecht einzuhalten, (48) weil Gott die Menschen in jener Ordnung geschaffen hat. Man darf dabei nicht vergessen, dass die Frühkirche die Frauen mit Recht als vor Gott mit den Männern gleichwertig behandelte. (48a) Auch Paulus proklamierte keine Wertunterschiede (Gal 3,28). Ihm ging es offensichtlich um Gottes Ordnung, die respek­tiert werden sollte, nicht um einen geringeren Stand der Frau in der Gemeinde.(49) Der folgende Vers 11 ist der Beweis dafür: "Doch ist im Herrn weder die Frau ohne den Mann, noch der Mann ohne die Frau." Hier wird die gegenseitige Abhängigkeit der Geschlechter betont und präzi­siert; V. 12 ordnet sie wiederum in die Ordnung Gottes ein: "Denn gleichwie die Frau vom Manne /kommt/, so auch der Mann durch die Frau; aber das alles von Gott." Die Schöpfungsordnung ist in sich harmonisch. Nicht der Mensch hat diese Reihenfolge bestimmt, sondern Gott. Aus Re­spekt zu Gott soll eine Frau ihre innere wie äußere Haltung gegenüber dem Mann zum Tragen kommen lassen - in der Unterordnung und durch das im kulturellen Umfeld akzeptierte äußere Zeichen der Autorität des Mannes, der sich diese Autorität durch ein unerschöpfliches Wohlwollen gegenüber seiner Frau "abverdienen" (Eph 5,25) muss. (49a)
(b) Die Haartracht von Mann und Frau ist zur Unterscheidung der Ge­schlechter gegeben (1Kor 11, 14f). Paulus verwendet in Bezug auf das Haar eine bekannte griechische Argumentation: "Oder lehrt euch nicht schon die Natur, dass es für einen Mann eine Unehre ist, langes Haar zu tragen? Dagegen gereicht es einer Frau zur Ehre, wenn sie langes Haar trägt; denn das Haar ist ihr statt eines Schleiers gegeben" (1Kor 11,14f). Der griechische Philosoph Epiktet (um 50 n.Chr. bis 138) schrieb, das Haar sei den Menschen zur Unterscheidung der Geschlechter gegeben. "Hat nicht die Natur bzw. das Wesen eines je­den von uns gleich von Anfang ausgerufen: ICH BIN EIN MANN! aufgrund dessen nähere dich zu mir, sprich zu mir, suche sonst nichts anderes an mir; sind denn nicht hier die Zeichen? Desgleichen bei einer Frau: Hat nicht die Natur ihr eine sanfte Stimme verliehen und ihr die Haare (vom Kinn) entfernt...?" Epiktet fährt fort zu beweisen, dass die Haare am Körper der Menschen sowie die Haarlänge der Unterscheidung der Geschlechter dienen. (50) Auf einer Papyrusrolle ist festgehalten, dass ein (heidnischer) Priester dafür gerügt wurde, dass er sich langes Haar wachsen ließ und Kleider aus Wolle trug. (51) Bei den Griechen war den Männern keine bestimmte Haarlänge vorgeschrieben. Die Spartaner trugen das Haar schulterlang und banden es vor einem Kampf zusammen, damit es ihnen beim Kämpfen nicht in die Quere kam.(52) Wichtig war aber, dass die Frauen längeres Haar trugen als die Männer.(53)
Die Frage "Lehrt euch nicht schon die Natur...?" meint kaum etwas ande­res als die allgemein anerkannte Körperbeschaffenheit der Geschlechter. (54) Man nahm an, dass die Haarlänge die Geschlechter unterscheiden soll, und auch die Korinther sollten sich an diese allgemeingültige Ordnung halten. Denn es ging doch letztlich darum, niemandem zum Anstoß zu werden, um unter den Heiden segensreich das Evangelium verkünden zu können. Langes Haar war für Frauen "eine Ehre", kurzes Haar für Männer. (55) Mann oder Frau zu sein ist eine göttliche Bestimmung (11,12b) und deshalb eine Ehre. Wenn die Gesellschaft der Meinung ist, die Haarlänge unter­scheide den Mann von der Frau - warum sollten sich Christen dieser Sitte widersetzen wollen? (Noch gar, wenn die Kleidung der beiden Geschlech­ter, wie erwähnt, sie nicht unterschied!)
"Das Haar ist ihr statt eines Schleiers gegeben" (1Kor 11,15b): V. 4 behandelt die Frage der Verhüllung des Mannes beim Beten und Weissagen; V. 6 setzt das Nichtverhülltsein der Frau mit dem Abschneiden ihres Haa­res in Beziehung, wobei angenommen wird, dass die Korinther Frauen, die mit unbedecktem Kopf beteten oder weissagten, das Haar lang trugen, und zwar offen, wie die Mätressen und die Tempeldirnen.(55a) Mit den folgen­den Versen will Paulus zeigen, dass die christlichen Frauen ihr Haar ge­ordnet und nicht lose tragen sollten. Denn das Haar ist ihr "als" oder "statt" (anti) eines Schleiers gegeben (11,15), d.h. eben nicht um sich mit der Frisur einer Dirne gleichzusetzen und damit ihr Christsein in Frage zu stellen und den Ehemann in Verruf zu bringen.(56) Christlicher Anstand orientiert sich an der Liebe (vgl. Phil 1,9-11; 4,8f) und darf nicht mit dem Weltgeist konform gehen (vgl. Rö 12,2), aber die Christen auch nicht in ein Getto verdrängen. Beide Extreme sind für Paulus unan­nehmbar, zumal es um das Gewinnen von Seelen für Christus geht (1Kor 9,19-23). Darum weist er beide Fehlhaltungen zurück und belegt seine Anweisungen theologisch mit der Schöpfungsordnung bzw. mit der Reihenfolge der Erschaffung der Kreatur. (57)
iii. Die Kopfbedeckung wird der Korinther Gemeinde nicht aufgezwungen, sondern zu ihrem Wohl empfohlen (1Kor 11,16): "Will aber jemand recht­haberisch sein, so haben wir solche Gewohnheit nicht, die Gemeinden Got­tes auch nicht." Die Argumentation des Apostels betreffs der Kopfbedeckung für Frauen konnte theologisch angefochten werden, da ja laut Paulus selber beide Geschlechter vor Gott gleich sind (Gal 3,28). Nicht nur Paulus, sondern auch andere Apostel sowie weitere christliche Lehrer proklamierten im 1.Jh. diese Gleichheit.(58) Aber Paulus meint hier ein­fach, er habe Rechthaberei nicht gern ("philoneikos" heißt streitsüchtig, wörtlich: streit- oder kampfliebend). Die Aussage "...so haben wir solche Gewohnheit (der Rechthaberei?) nicht" erklärt nicht, wen Paulus mit "wir" meint. Die nichtvorhandene "Gewohnheit" könnte sich auch auf das Beten und Weissagen christlicher Frauen ohne Kopfbedeckung in "der Gemeinde Gottes", d.h. in den damaligen Gemeinden generell, beziehen. (59)
C. Zusammenfassung und Schlussfolgerungen
Paulus führt fünf Argumente für die Kopfbedeckung der korinthischen Frauen an:
Erstes Argument: die göttliche Ordnung und die Reihenfolge der Erschaffung der Geschlechter(1Kor 11,3-6).
Zweites Argument: der Sinn der Erschaffung der Menschen - die Ergänzung; Gott schuf sie füreinander (1Kor 11,7-9; 1Mo 1,27; 2,18).
Drittes Argument: sogar die Engel beachten die Ordnung Gottes und überwachen sie (1Kor 11,10; vgl. Heb 1,4-14 mit 1Kor 4,9; Eph 3,10; 1Tim 5,21; Ps 103,20f). (60)
Viertes Argument: Mann und Frau sind voneinander abhängig, keiner ist erhabener als der andere (1Kor 11,11f). Die Frau sollte sich äußerlich instinktiv vom Mann unterscheiden wollen, und umgekehrt (11,13-15).
Fünftes Argument: die allgemeine Praxis der Kopfbedeckung in den damaligen christlichen Gemeinden (1Kor 11,16). (Anmerkung: Ich bin mir heute nach vielen Untersuchungen nicht mehr sicher, dass die Kopfbedeckung (a) bei jüdischen Frauen und (b) bei christlichen Frauen in der Urgemeinde die allgemeine Praxis war, obwohl mich mein wissenschaftlicher Konsultant und die übrigen Disputanten nach dem Vortrag nicht korrigierten).
Aber wie wir gesehen haben, erwartete der Apostel Paulus von den christlichen Frauen in Korinth noch aus weiteren Gründen das Tragen der Kopfbedeckung:
1.  Das (freie) Verhalten der christlichen Frauen in Korinth diskreditierte ihre Männer in der Gesellschaft ("entehrt ihr Haupt", 1Kor 11,5);
2.  es brachte die Frauen selber in Verruf und war daher ein Hindernis für die Verbreitung des Evangeliums;
3.  es verstieß gegen die Schöpfungsordnung Gottes und hatte eine irregeleitete Emanzipation der Frau ausgelöst; damit wurde das Haupt Mann bzw. Christus "entehrt";
4.  es verstieß gegen die allgemeine Auffassung der Griechen von der Stellung der Frau in der Familie und Gesellschaft sowie im religiösen Leben. Auch dies bedeutete ein Hindernis für die Verbreitung des Evangeliums, das es wegzuräumen galt (vgl. 11,3a: "Ich will aber, dass ihr wisset").
Dabei zwang Paulus, wie gesagt, den Korinthern "seine" Auffassung über die Kopfbedeckung nicht auf, sondern überließ es ihnen, ob sie seinem Rat folgen wollten oder nicht (11,16).
Fazit: Es geht Paulus in unserem Textabschnitt hauptsächlich darum, die Extreme in Schranken zu weisen. Alles sollte zur Förderung des Evangeliums beitragen - dies war gewissermaßen sein persönliches Motto (vgl. Phil 1,12.20f).
Die Frage, ob christliche Frauen auch heute noch eine Kopfbedeckung tragen sollten, hängt von der Kultur der jeweiligen Umgebung ab, denn das Prinzip der Beantwortung orientiert sich an der Nützlichkeit einer Sitte für die Förderung des Evangeliums.
Es geht dem Apostel bei den Korinthern nicht darum, neue "gesetzliche" Regeln aufzustellen; oh nein, er wollte die Einstellung der christlichen Frauen und Männer gegenüber Gott und zueinander mit der Erwählung in Einklang bringen (vgl. 1Pet 3,7). Beide sind Erben der Herrlichkeit Christi, aber die Geschlechtsunterschiede sind (zum Glück) nicht abgeschafft worden. Die gegenseitige Ergänzung der Geschlechter bleibt auch heute bestehen.
Im Hinblick auf die Förderung des Evangeliums unter der Bevölkerung ist die äußere Anpassung an die jeweilige Kultur eine christliche Verpflichtung, das für uns heute ebenso gilt wie für die Korinther im 1. Jh. (1Kor 9,19-22)
D. Fußnoten und Anmerkungen
1   Bo Reiche, Leonhard Rost (Hr.): Biblisch-Historisches Handwörter­buch (fortan: BHH). Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht, 1964, Bd. 2, Sp. 940.
2   C.F. Pfeiffer (Hrsg.): The Biblical World. A Dictionary of Biblical Archaelogy (fortan: DBA). Grand Rapids: Baker Book House, 5. Aufl. 1979, S. 172-174.
3   M.C. Tenney (Hrsg.): The Zondervan Pictorial Encyclopedia of the Bible. Grand Rapids: Zondervan, 5. Aufl. 1980, Bd. 1, S. 960f.
4   BHH, Bd. 2, Sp. 989; H. Th. Frank: Bible Archaeology and Faith. Nashville: Abingdon Press, 1979, S. 81-84; Vgl. S. 105-108.
5   Völker, Herrscher und Propheten: Die Menschen der Bibel - ihr Leben, ihre Zeit. Stuttgart: Das Beste, 1979, S. 413.
6   Vgl. Unterwegs in die Vergangenheit: Die erstaunlichsten Tatsachen der Weltgeschichte. Stuttgart-Zürich-Wien: Das Beste, 1984, S. 130, vgl. S. 140f.
7   Ebenda, S. 102, vgl. 1Kor 6,12-19.
8   DBA, S. 173; BHH, Bd. 2, Sp. 989f; Tenney, Bd. 1, S. 961
9   Unterwegs in die Vergangenheit..., S. 103.

10   Ebenda, S. 102
11   William Barclay: Brief des Jakobus. Brief des Petrus. Wuppertal: Aussaat Verlag, 2. Aufl. 1982, S. 209f.
12   Ebenda, S. 208.
13   A.T. Robertson: Word Pictures in the New Testament. Nashville: Broadman Press, 1931, Bd. 4, S. 160.
14   Frank E. Gaebelein (Hrsg.): The Expositor's Bible Commentary. Grand Rapids: Zondervan, 1979, Bd. 10, S. 256f.
15   M. Buchberger (Hrsg.): Lexikon für Theologie und Kirche. Freiburg-Basel: Herder, 1957-1968, Bd. 1, S. 718.
16   Der Neue Knauer: Lexikon in 10 Bänden. Droemer Knaur: München-Zürich, 1975, S. 3517.
17   Völker, Herrscher und Propheten..., S. 413.
18   BHH, Bd. 1, Sp. 494f. James Orr (Hrsg.): The International Standard Bible Encyclopaedia. Grand Rapids: Eerdmans, 1976, Bd. 5, S. 3100f; Vgl. Walther Eichrodt: Theology of the Old Testament. Philadelphia: Westminster Press, 1961, S. 131; 80f.
19   BHH, Bd. 2, Sp. 985f.
20   Ebenda, Sp. 962-965.
21   Halter Bauer (Hrsg.): A Greek-English Lexicon of the New Testament and other Early Christian Literature. Chicago-London: Univ. of Chicago Press, 1979, S. 749. Das Lexikon gibt das Wort sigao wieder mit (1) "sage nichts", "sei ruhig" (Mk 14,61; Lk 19,40; 20,26; Apg 12,17; 15,12; 1Kor 14,28); (2) "werde ruhig", "höre auf zu spre­chen" (Lk 18,39; Apg 13,41; 15,13; 1Kor 14,30); (3) "halte den Mund", "sei verschwiegen" (Lk 9,36); (4) "halte Geheimnisse", "ver­schweige bzw. verheimliche etwas" (Rö 16,25).
22   BHH, Bd. 1, Sp. 494-496.
23   Jürgen Roloff: NTD: Die Apostelgeschichte. Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht, 1981, S. 275f; Vgl. F.F. Bruce: The Acts of the Apostles. The Greek Text with Introduction and Commentary. Grand Rapids: Eerd­mans, 9. Aufl. 1979, S. 349.
24   (H.L. Strack,) P. Billerbeck: Kommentar zum Neuen Testament aus Talmud und Midrasch. München: C.H.Beck, 1922-1961, Bd. 2, S. 749ff; Vgl. Ernst Haenchen: The Acts of the Apostles. A Commentary. Philadelphia: Westminster Press, 1971, S. 542-547, 610-614.
25   Roloff, S. 315.
26   Billerbeck, Bd. 2, S. 741.
27   F.F. Bruce: The New International Commentary on the New Testament: The Book of the Acts. Grand Rapids: Eerdmans, 1977, S. 322f
28   BHH, Bd. 2, Sp. 962-965, 985f.
29   John Pollock: Der Apostel. Wuppertal: R. Brockhaus, 1971, S. 117f
30   C.K. Barrett: A Commentary on the First Epistle to the Corinthians. London: Adam & Charles Black, 1978, S. 248.
31   Robertson, S. 161.
32   M.R. Vincent: Word Studies in the New Testament. Wilmington: Associated Publishers and Authors, o.J., S. 786.
33   Orr, Bd. 2, S. 878f.
34   Leon Morris: The First Epistle of Paul to the Corinthians. Grand Rapids: Eerdmans, 1979, S. 152; Vgl. Barrett, S. 250.
35   Barrett, a.a.O.; Vgl. Vincent, S. 786.
36   Barrett, S. 250.
37   Pollock, S. 130, 136ff.
37a. View of the Biblical World. Jerusalem: Verlag International, 1961, Bd. 5, S. 228; Dio of Prusa: Tarsica prior, Paragraf 48; dasselbe bei: Miliard J. Erickson: Christian Theology. Grand Rapids: Baker Book House, 1984, Bd. 2, S. 545-548.
38   Vincent, S. 786
39   F.W. Grosheide: Commentary on the First Epistle to the Corinthians. Grand Rapids: Eerdmans, 1976, S. 252f.
40   James I. Packer (Hrsg.): The World of the New Testament. Nashville-Camden-New York: Nelson, 1982, S. 162ff.
41   Karl Kupisch: Kirchengeschichte: Von den Anfängen bis zu Karl dem Großen. Stuttgart-Berlin-Köln-Mainz: Kohlhammer, 1973, S. 47ff.
42   F.F. Bruce: New Testament History: Historical Foundation of the New Testament Story. Oliphants: Marshall, Morgan & Scott, 1977, S. 18, 129, 296f. 311.
43   David K. Lowery: "1 Corinthians" in John F. Wolwoord, Roy B. Zuck (Hrsg.): The Bible Knowledge Commentary. Wheaton: Victor Books, 1983, S. 528f.
44   Unterwegs in die Vergangenheit, S. 101-103; vgl. hingegen die Stel­lung der Frau in Rom: Philipp Vandenberg: Nero: Kaiser und Gott, Künstler und Narr. München: Bertelsmann, 1981, S. 116ff.
45   Tertullian: "On Baptism and the Veiling of Virgins" in Paul Johnson: A Historiy of Christianity. London: Penguin, 1980, S. 49. Tertullian stellt fest, dass manche Frauen es wagten zu lehren, theologische Diskussionen zu führen, zu exorzieren, die Gabe der Heilung zu praktizieren und sogar möglicherweise zu taufen. Er lehnte ein Recht der Frauen zu solchem Vorgehen in den Gemeinden ab und verbot es ihnen kategorisch. Vgl. S. 75, 1OOf.
46   F.W. Farrar: "I Corinthians" in H.D.M. Spence, J.S. Exell (Hrsg.): The Pulpit Commentary. Grand Rapids: Eerdmans, 1977, Bd. 19, S. 361f; vgl. Robertson, S. 160.
47   Hermann Menge: Altgriechisch. Berlin-München-Wien-Zürich: Langenscheidt, 1985, S. 163.
48   Donald Guthrie: New Testament Theology. Leicester: Inter-Varsity Press, 1981, S. 139f.

48   Johnson, S. 75; Guthrie, S. 177-180.
49   Vincent, S. 787; Farrar, a.a.O. S. 362f; Robertson, S. 161; Guthrie, S. 741.
49a Vgl. Guthrie, S. 774-778.
50   Barrett, S. 256f.
51   Robertson, S. 162.
52   Lowery, a.a.O. S. 530.
53   Morris, S. 155f.
54   Vincent, S. 787; Robertson, S. 161f. Farrar glaubt, das griechische Wort für Natur dürfe mit "Instinkt" wiedergegeben werden, a.a.O.
S. 363; vgl. Grosheide, S. 260.
55 Grosheide, S. 260.
55a Orr, Bd. 2, S. 1320; BHH, Bd. 2, Sp. 617f; Gilbert Beers: The Victor Handbook of Bible Knowledge. Wheaton: Victor Books, 1981, S. 87, 255, 477.
56   Vgl. Grosheide, S. 261. Der griechische Ausdruck anti peribolaion wird mit "als Schleier" oder "statt eines Schleiers" übersetzt; es bedeutet auch "anstatt eines Überwurfs" (Menge, S. 346). Darum schließt man, dass es Paulus letztlich um eine ordentliche Haartracht ging (vgl. Robertson, S. 162).
57   Lowery, a.a.O. S. 528f; Farrar, a.a.O. S. 361; Vgl. The Journal of Theological Studies, Georgetown Univ., Washington D.C., Okt. 1954, S. 211-215; C.S. Lewis: Mere Christianity. London: Fontana Books, 1955, S. 99f; Morris, S. 152.
58   Johnson, S. 75. Die Empörung über die Gleichstellung der Frauen kam erst im 2. Jh. durch Tertullian: Johnson, S. 49.
59   Morris, S. 156; Vgl. Lowery, a.a.O. S. 530.
60   Guthrie, S. 139-145.

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