Tagesseminar zum Thema 'Homosexualität und Kirche'
Tagesseminar zum Thema 'Homosexualität und Kirche'
I. Das
homosexuelle Verhalten aus der Sicht der Bibel
1. Definition / Begriffserklärung
1.1. Die säkulare Definition der
Homosexualität
Das griechische Wort homo(ios) und das
lateinische sex(us) liegen dem Begriff Homosexualität zugrunde, der eine
Neubildung des 19. Jahrhunderts zur Bezeichnung eines abnormen, auf Menschen
gleichen (homo-) Geschlechts (sexus) gerichteten Sexualempfindens ist. Geprägt
wurde der Begriff "Homosexualität" im Jahre 1869 vom österreichischen
Schriftsteller Kertbeny (Benkert), der selbst homosexuell aufgelegt war.[1] Im
nichtwissenschaftlichen, populären Sinn gilt Homosexualität ausschließlich für
die gleichgeschlechtliche Liebe zwischen Männern, während lesbische Liebe auf
das weibliche Geschlecht beschränkt ist.
Martin Dannecker, Leiter der Abteilung
für Sexualwissenschaften im Klinikum der Universität Frankfurt, der selbst
homosexuell empfindet, hat in einem Gespräch mit Helmuth Zenz und Gabriele
Manok die Frage nach der Definition der Homosexualität wie folgt beantwortet:
Homosexuell sind "Leute, die selber von sich sagen, sie seien homosexuell
oder bisexuell. Man kann nur über die Homosexuellen sprechen, bei denen
es ein Stück weit Selbstidentifizierung als Homosexuelle gibt. Zwar kann
auch jemand homosexuell sein, der vorbewusst oder unbewusst erotische oder
sexuelle Wünsche nach einem gleichgeschlechtlichen Sexualobjekt hat, diese
Wünsche aber bewusst nicht aushält und deshalb verleugnet. Nur, solche Personen
werden von der Wissenschaft nicht erfasst ...“ Dannecker meint, dass,
"die, die später ausschließlich homosexuell sind, hatten schon vor der
Pubertät gleichgeschlechtliche Schwärmereien ..“ Dannecker postuliert: „Der
Wunsch nach bestimmten Sexualobjekten ist ja wie ein Zwang, das können wir uns
nicht aussuchen.“ Der Wissenschaftler verneint aber eine vererbte
Homosexualität und führt aus: "Homosexualität ist nach meiner Auffassung
nicht angeboren, sondern eine spezielle Bahnung der sexuellen Ausstattung in
der Lebensgeschichte.“[2]
1.2. Die biblische Definition der
Homosexualität
Die Bibel hat keinen eigenen Begriff für
die „Homosexualität“. Die alttestamentlichen Texte wie Levitikus 18,22 und
20,13 umschreiben die homosexuelle Liebe mit dem Satz: et zakar lo
tischkab mischk’be ‘ischschah, d. h. „Nicht sollst du mit einem
Menschen männlichen Geschlechts schlafen wie mit einer Frau“. Die
hebräische Kombination „mischkab zakar“ meint den „Beischlaf
eines Mannes mit einem Mann“ (vgl. Numeri 31,17). Die Schreiber
des AT befassen sich kaum mit der Erotik aus wissenschaftlicher Sicht, sie
missbilligen aber jedes Verhalten, das nach ihrem Dafürhalten die Grenzen der
heterosexuellen Liebe überschreitet. Genesis 19,5 umschreibt den homosexuellen
Verkehr euphemistisch mit dem Begriff erkennen: „Bring sie hervor zu
uns und wir werden sie erkennen.“ Es wird in der
„Lotserzählung“ berichtet, dass Lots Familie von zwei (himmlischen) Boten
männlichen Geschlechts besucht wurde (19,1-3), denen Lot bereitwillig
Gastfreundschaft erwies. Jedoch waren die Stadtbewohner mit Lots Vorgehen
unglücklich, und „Männer der Stadt, Männer von Sodom,“ umzogen „das Haus, (vom)
Knaben gar bis zum Alten,“ und fragten: „Wo sind die Männer, die zu dir kamen
zur Nacht? Bring sie hervor zu uns, und wir werden sie erkennen“ (19,5).
Das Verb „erkennen“ wird, wie wir sehen werden,
euphemistisch mit männlichem „Beischlaf“ umschrieben. Ein ähnlicher Vorfall
ereignete sich bei Benjaminiten in Gibea vis-à-vis von Jerusalem (Richter
19,22-24).
Das Neue Testament kennt einzig die
paulinische Umschreiben des homosexuellen Verhaltens. Paulus bezeichnet die
homosexuelle Liebe der Frauen wie Männer mit dem Ausdruck „entehrende
Leidenschaften“ (Röm 1,26) und den homosexuellen Verkehr als
„widernatürlich“ (1,26f.). Der homosexuelle Akt wird so dargestellt: „Die
Frauen vertauschten den natürlichen Geschlechtsverkehr, mit dem widernatürlichen,“
und die Männer wurden „von wildem Verlangen zueinander gepackt;
Männer ließen sich in schamlosem Treiben mit anderen Männern ein“ (1,27
nach Genfer).[3]
Summa summarum: Das homosexuelle Verhalten wird von biblischen Autoren als Beischlaf
eines Mannes mit dem gleichen Geschlecht wie mit einer Frau
beschrieben, und Paulus definiert ähnlich auch die lesbische Liebe: Die Frau
vertauscht den natürlichen Geschlechtsverkehr mit einem Mann auf den „widernatürlichen“ mit
einer Frau.[4] Die
Griechen kannten jedoch mehrere Begriffe für die Homosexualität und
Homosexuelle, so z. B.: „arsenokoitountes“ =
homosexuelle Handlung, „androkoitai“ = Homosexuelle
und „paiderastia“ = die Knabenliebe.[5] Paulus bedient sich in 1Kor 6,9 des
Kompositums aus den Morphemen „arsen“ und „koitai“ =
„Männerbeischlaf“. Dass Paulus in seinem Text „androikoitai“
nicht verwendet, hat wohl damit zu tun, dass der Begriff „arsenokoitoi“
mehr als alle andere Begriffe in der griechischen Literatur vorkommt. Die
Ausnahme bildet der Begriff „paiderastia“ = Knabenliebe, der
in der Bibel nirgends vorkommt.
2. Exegese
2.1. Altes Testament
.1. Genesis 19,5 vgl. Richter 19,22
„Und sie riefen nach Lot und sagte zu
ihm: Wo sind die Männer, die diese Nacht zu dir gekommen Sind? Führe sie zu uns
heraus, dass wir sie erkennen“. Es ist
sicherlich korrekt, dass der hebräische Begriff „jadha“ im Kontext von
Gen 19,5 nicht als ein Zeitwort „erkennen“, im Sinne von „kennenlernen“,
verwendet wird, er meint expressis verbis den homosexuellen
Missbrauch. Nach hermeneutischen Gesichtspunkten kann in Gen 19 wie in Ri 19
auch der Verstoß gegen das hebräische Gastrecht gemeint und implizit verurteilt
worden sein, obwohl Lot ja auch das Gastrecht seiner unmittelbaren Umgebung
verletzt haben muss. Nach den Regeln des Gastrechts mussten im
Altertum Fremde vor dem Stadttor ihre Namen, die Zahl der Begleiter sowie die
Zahl der Tiere nennen, damit entschieden werden konnte, ob von den Einreisenden
Gefahr wie Überfall oder Versklavung drohte. Lot scheint diese Regeln ignoriert
und die zwei Männer, in Missachtung des Gastrechts, in sein Haus aufgenommen zu
haben.[6] Josephus
lobt jedoch die Gastfreundschaft Lots und schreibt, er habe „von Abraham
gelernt, was Gastfreundschaft heißt. Die Sodomiter jedoch verfolgten
lüstern die gut aussehenden Männer“.[7] Josephus und Philo bezeichneten die
„Sünde von Sodom“ als „unmoralische, unnatürliche Sinnlichkeit“.[8] Sexuelle
Ausschweifungen - welcher Art auch immer - werden in der Bibel nicht selten mit
Sodom in Zusammenhang gebracht (vgl. Hes 16,46-58; Amos 4,11; Zeph 2,9).
Hesekiel 16,50 meint jedoch, dass das Verhalten der Sodomiten von
ihrer Hochmut abzuleiten ist, und schreibt: „Vielmehr wurden sie
hochmütig und verübten Gräuel vor mir. Da verstieß ich sie, wie du
gesehen hast“ (vgl. Vers 49).[9] Der Begriff „Gräuel“ enthält in sich
u. a. auch sexuelles Vergehen. Richter 19,22 berichtet von Männern „aus
der Stadt, böses Gesindel, „ das „das Haus“ umringte
und verlangte vom Gastgeber: „Bring den Mann heraus, der bei dir ist;
wir wollen ihn erkennen.“ Das hebräische Verb neda’enu ist
Futurum von jadha und zeigt, dass die Gibeaniter als „Söhne
der Nichtswürdigen oder Heillosen“ (bne’ belija’al) keine
harmlosen Absichten hatten. Denn das Verb jadha erscheint
nämlich zur Schilderung des kollektiven Vergewaltigungsaktes wiederum in
Richter 19,25: „Sie erkannten (jedhu) sie und trieben ihren Mutwillen
mit ihr die ganze Nacht hindurch bis an den Morgen. Und sie ließen sie gehen,
als die Morgenröte aufging“ (Ri 19,25f.). Der Zusammenhang des Textes
zeigt uns in aller Deutlichkeit, die Männer von Gibea beabsichtigten, den
Gast homosexuell zu missbrauchen.[10]
.2. Levitikus 18,22; 20,13
Der hebräische Text von Lev 18,22 und
20,13 ist allerdings komplex. Der Text von Lev 18,22 lautet: et
zakar lo tischkab mischk'be 'ischschah. Die Theologen Carl-Friedrich
Keil und Franz Delitzsch übersetzen den Passus mit dem Hinweis: „Es war
verboten, mit dem männlichen Geschlecht zu liegen wie mit dem
weiblichen“, und sie folgern: "... d. h. das Verbrechen
der Päderastie, jenes von Sodom (Gen 19,5), zu begehen.“[11] Es
ist nicht ausgeschlossen, dass die beiden Theologen mit dem Begriff der
Homosexualität noch nicht vertraut waren, als sie (im 19. Jh.) ihren Kommentar
erarbeiteten; hermeneutisch wäre ihre Wiedergabe jedenfalls möglich.
Wir müssen aber das hebräische zakar doch unter die
Lupe nehmen, um herauszufinden, ob der Begriff mit Knabenliebe in
Beziehung gebracht werden kann. Ludwig Köhler gibt das Wort mit "Mensch
männlichen Geschlechts" wieder.[12] Denselben Beiklang enthält der
Begriff in Genesis 17,10.12.23. In diesen Versen geht es zweifellos um
Angehörige des männlichen Geschlechts jeden Alters. Abraham sollte nach Gen
17,23 "alles Männliche" beschneiden; da noch niemand
in seiner Sippe beschnitten war, nahm er "seinen Sohn Ismael und
alle ... Sklaven, alles Männliche im Hause Abrahams, und
beschnitt noch am gleichen Tage das Fleisch ihrer Vorhaut, wie Gott ihm
befohlen hatte". Wie auch andere Bibelstellen bezeugen, in
denen zakar erscheint, [meint der hebräische Begriff
keinesfalls nur Knaben, sondern Männer aller Altersstufen.[14]
In diesem Zusammenhang interessiert uns
auch das hebräische Verb schkb, das mit
"beiwohnen" oder "schlafen" übersetzt wird. Laut Ludwig
Köhler bezeichnet schakab "sich hinlegen zum
Schlaf". Er meint aber, in Levitikus 18 gehe es nicht um das
natürliche Schlafen allein, sondern im Verb seien perverse sexuelle Absichten
impliziert.[15] Derweil
bezeichnet schakab durchaus auch das friedliche Sterben
von Menschen; die Rede des Propheten Nathan zu König David ist ein
plausibles Beispiel: "Wenn dann deine Tage voll sein werden und du
dich zur Ruhe legst bei deinen Vätern .." (2Sam 7,12).
Kontext und Aussage des Verses verleihen dem Verb die Bedeutung des Sterbens
bzw. des Bestattetwerdens.[16] Nichtsdestoweniger
wird das Verb schakab auch für den Geschlechtsverkehr verwendet,
so z. B. in Gen 19,32f: Die ältere Tochter Lots "legte sich
zu ihrem Vater. Dieser merkte es nicht, wie sie sich hinlegte, noch, wie sie
aufstand" (Gen 19,33). Der euphemistische Gebrauch des
Begriffs schakab zielt nicht auf eine Verheimlichung
des Tatbestandes des Inzests, wird das Ergebnis des Beischlafs der
beiden Töchter mit Lot doch explizite erwähnt: "So empfingen beide
Töchter Lots von ihrem Vater" (Gen 19,36). Der Inzest wird hier
vom Autor weder gut geheißen noch getadelt, sondern als Resultat
einer Grenzsituation präsentiert.[17] Das Heiligkeitsgesetz
seinerseits lässt uns kaum
daran zweifeln, dass Levitikus 18,22 schakab als
Euphemismus für sexuellen Verkehr verwendet, und zwar unter Männern.
Der Autor gibt uns durch den erklärenden Vergleich einen Hinweis, wie der
Koitus unter Repräsentanten des männlichen Geschlechts zu verstehen
ist, nämlich: mischk ‘be' ischscha, "Beischlaf
(wie) mit einer Frau".[18] Laut Benjamin Davidson ist mischk
‘be' ein Femininsubstantiv, [das den Geschlechtsverkehr meint. Die
Kombination mischkab zakar begegnet uns in Numeri 31,17
und wird gelesen: "Beischlaf mit einem Mann".[20] Der
Passus gibt den Befehl wieder: "Tötet sofort alle
männlichen Kinder, ebenso tötet jedes Weib, das bereits mit einem Mann
geschlechtlich verkehrt hat." Auch hier hat das Wort mischkab eine
sexuelle Bedeutung und meint den heterosexuellen Verkehr.
Entsprechend können wir Levitikus 18,22
wie folgt wiedergeben: "Keine sexuelle Verbindung mit einem
Menschen männlichen Geschlechts, als wäre er eine Frau, sollst du
eingehen." Diese etwas umschreibende Wiedergabe stimmt
inhaltlich mit dem Urtext überein. Laut Davidson kann lo tischkab ein
Verb in der 2. wie auch in der 3. Person sein.[21] Somit kann lo als
ein Adverb gesehen werden, das eine Verneinung ausdrückt. "Nicht
sollst du mit einem Menschen männlichen Geschlechts schlafen wie mit einer
Frau."[22] Das
Futurum des Verbs "schlafen, sich hinlegen" bildet mit dem Adverb
"nicht" einen Imperativsatz: "Nicht sollst du" oder "du
darfst nicht". Hiermit wird der homosexuelle Verkehr unter
Männern strikt untersagt. Dass die Israeliten im Singular mit "du"
angesprochen werden, ist durchaus keine Ausnahme; Elmer Martens kommentiert
mit Recht: Die Zuhörer werden als "corporate personality", als kollektive
Einheit gesehen.[23]
Levitikus 20,13 sagt eigentlich dasselbe
aus wie Levitikus 18,22:
„Sollte ein Mann mit einem Menschen
männlichen Geschlechts Geschlechtsverkehr unterhalten wie mit einer
Frau, haben beide Schändliches (bzw. Gräuel) begangen. Mit dem Tod sollen sie
bestraft werden; es lastet Blutschande auf ihnen.“[24]
Hier ist zu berücksichtigen, meint
Samuel Rolles Driver, dass die homosexuelle Praxis als
Folge der kanaanäischen Rechtslage im Umfeld der Israeliten grassierte. Diese
Legislation von Lev 20,13 hatte u. a. vorbeugende Funktion, um
Gottes Volk vor der Befleckung mit der Verderbtheit der Heiden zu
schützen.[25]
Karl Barth unterbreitet seine
grundlegende Wertung der homosexuellen Liebe, sie sei im Licht der
Schöpfungslehre eine Perversion, weil sie versuche, das Individuum souverän zu
machen, d. h. den Menschen in eine Unabhängigkeit von Gott setze, indem
sie sich der gottgegebenen sexuellen Orientation widersetzen und
somit gegen die "Einfleischehe" bzw. die Heterosexualität verstoße.[26]
2.2. Neues Testament
.1. 1Kor 6,9-11 / 1Tim 1,9f.
Im Rahmen des in diesem Unterkapitel
untersuchten "Lasterkataloges" aus 1.Kor 6 müssen wir uns noch zwei
Begriffen zuwenden, die von besonderer Bedeutung sein dürften: malakoi und arsenokoitoi.
Beide sind noch ungenügend erforscht, und ihre Übersetzung bleibt vorläufig
umstritten.
Archibald T. Robertson gibt malakos als
männliche Person wieder, die durch hochgradig entgegengesetzte sexuelle
Empfindung charakterisiert wird; laut ihm ist der malakos ein
effeminierter (weibisch gewordener) Mann.[27]
Die griechischen Philosophen verwendeten
diesen Begriff eher sparsam. Aristoteles verwendet malakos für
den "Unbeherrschten", der "jeweils dem
Genuss des Augenblicks" nachjagt.[28] Epiktet (50-138)
dagegen beschreibt damit Personen, die zu "einfältig" wären,
philosophische Aussagen zu betrachten und aufzunehmen.[29] John Boswell hat durch die
Untersuchung der patristischen Literatur entdeckt, dass die Kirchväter den
Begriff malakos im Sinne von „flüssig; feige; mit
schwachem Willen; delikat; zart; verderbt; rafffiniert/kultiviert"]
verwendet.
Dionysius von Halicarnassus (1. Jh.
v. Chr.) charakterisiert den Aristodemus von Cumae so:
„(Er war) ein Mann von
nicht unbekannter Herkunft, der von den Bürgern Malakus oder
"Effeminierter" genannt wurde - ein Spottname, der mit der Zeit
besser bekannt war als sein eigener Name; entweder, weil er als Knabe weibisch
war und sich wie eine Frau traktieren ließ, wie einige
berichten, oder weil er von mildem Wesen und nicht leicht zum Zorn zu reizen
war, wie andere festhalten.“[31]
Dio Chrysostomus (1./2. Jh.) kennt den
Terminus auch und verwendet ihn etwa in einer Rede so: "Wenn du
dich mit Bildung befasst, wird man dich einfältig und effeminiert (euethes
kai malakos) nennen ..."[32] Vettius Valens assoziiert malakos mit
allgemeiner Zügellosigkeit, [während bei Diogenes Laertius (3. Jh.)
die Bedeutung etwas vage bleibt; Otto Apelt übersetzt ihn einmal mit "Wollüstling",
ein andermal mit "Weichling".[34] Plautus erwähnt in seiner Komödie
vom ruhmreichen Soldaten dasselbe Adjektiv als Fremdwort unmittelbar nach dem
Substantiv cinaedus, das ebenfalls aus dem Griechischen
kommt und dort passiv homosexuelle Männer bezeichnete, und zwar für
professionelle Tänzer oder Pantomimenschauspieler.[35]
Lukan (Marcus Annaeus Lucanus, 39-65
n. Chr.) beschreibt gewisse Priester bzw. deren Blut und prangert sie just
mit dem Begriff malakos der passiven
Homosexualität an.[36] Der Begriff ist demnach im 1. Jh.
durchaus hierfür belegt. Adolf Deissmann zitiert aus einem Brief des Domophon
an Ptolemäus (geschrieben um 245 v. Chr.): "Sende uns aber
auch Zenobios den Weichling (malakon) mit Trommeln,
Becken und Klappern."[37] Deissmann
kommentiert: "Das Wort steht wohl in der auch dem Apostel (1.Kor
6,9) bekannten obszönen Bedeutung und deutet das schmutzige Nebengewerbe des
Musikanten an."[38]
Wie oben bereits erwähnt, gab Dionysos
von Halicarnassus dem Begriff malakos zwei
Bedeutungen: Als Spitzname konnte er "effeminierter Mann" bedeuten,
der wie eine Frau behandelt wurde; ferner gab er einen "milden
Charakter" wieder, konnte also auch damit den passiven
Partner in einer homosexuellen Beziehung bezeichnen; mit Hans
Lietzmanns Formulierung: "Ein Malakos ist das
Passivum zum Arsenokoites".[39]
Der Apostel Paulus konnte im Kontext von
1Kor 6,9 malakos unmöglich für "Genusssüchtige" oder "Masturbierende" oder "moralisch
Schwache" bzw. "Instabile" verwendet
haben. Denn: malakos steht unmittelbar nach moichoi (Ehebrecher)
und vor arsenokoitoi (s. unten), zwei Begriffen, die
eindeutig Unzuchtssünden bezeichnen.
Sherwin Bailey meint, dass malakoi ein Terminus
technicus für Männer ist, die aktiven männlichen Homosexuellen zur
Verfügung stehen.[40] Das
Wort ist in der klassischen griechischen Literatur zur Beschreibung solcher
Männer belegt, wenn auch nicht sehr häufig. Die Tatsache, dass malakoi vor arsenokoitoi steht,
einem Begriff für aktive Homosexuellen, wie wir sehen werden, impliziert
ebenfalls, dass Paulus damit weder "moralisch schwache" noch "masturbierende" Männer
meinte, sondern die passiven Homosexuellen. Dieses Fazit wird durch
die Untersuchung von arsenokoitoi offensichtlich.[41]
Der griechische Begriff arsenokoitoi.
findet sich nebst 1.Kor 6,9 nur noch in 1Tim 1,10, wo er von Hans Bürki und
vielen anderen mit "Knabenschänder" wiedergegeben
wird.[42]
Arsenokoitoi ist ein Kompositum der Morpheme arsen (Gen. arsenos)
mit der Bedeutung "männlich" oder "Mann", und koitos,
dessen Konnotation einer Untersuchung bedarf.[43] Generell verwendete man koite für
"Bett";] in dieser Bedeutung finden wir den Begriff in Lukas 11,7.
Der Hebräerbrief verwendet das Wort für "Ehebett" (Timos ho
ganos es pasiu kai he koite amiantos: Ehrbar/sei/die Ehe bei
allen und das Ehebett unbefleckt). Die moralische Bedeutung von amiantos (unbefleckt)
verrät die Verwendung von koite in diesem Kontext,
nämlich: Das Sexualleben der Ehepartner muss "unbefleckt" bleiben,
m. a. W. die eheliche Treue darf nicht verletzt werden.[45] In
Römer 13,13 steht koite euphemistisch für
"Unzuchtshandlungen" oder "Wollust". Römer 9,10 meint
mit koite wohl "Gravidität, Leibesfrucht"
oder aber "Beischlaf".[46]
Das Kompositum aus den Morphemen arsen und koite (pl. koitai)
ergibt also "Männerbeischlaf", euphemistisch "mit
Männern (sexuell) verkehrende Männer".[47] Dieser Interpretation stimmen auch
die Homophilen Bailey, John McNeill und Boswell bei.[48] Der letztere argumentiert
aber, arsenokoitai könne nicht auf Homosexuelle
generell bezogen werden, sondern meine den aktiven männlichen
homosexuellen Prostituierten.[49] Boswells Behauptung lässt sich
weder verifizieren noch schlüssig widerlegen. In Anthologia Graeca lesen
wir von einer Inschrift am Osttor von Thessaloniki die von einem
anonymen Autor stammt und nachstehend auf Deutsch wiedergegeben sei:
Wanderer jauchze im
Herzen! Du siehst ob dem Tor den Präfekten Basileios, den Mann, der Babylons
übergewaltige Macht zerstört hat, die Leuchte des unbestechlichen Rechtes,
kommst zum Orte der besten Regierung mit trefflichstem Sohne, brauchst nicht
Barbaren zu fürchten noch Männer, die Männern sich gatten (ouk
arrenas arrenokoitas).[50]
Aristides von Athen (2. Jh.) war einer
der ältesten christlichen Apologeten und richtete seine Verteidigungsschrift
für die Christen an den Kaiser Hadrian, namentlich mit dem
geschichtstheoretischen Argument operierend, die Christen seien nach den
"Barbaren, Hellenen und Juden" das "neue", "vierte
Geschlecht", um dessentwegen die Welt noch fortbestehe.[51] U. a. skizziert Aristides in
seiner Apologie auch die Korruption der heidnischen Götter, die er als
kriminell klassiert und denen er die Praxis der arsenokoitai unterstellt.[52] Es
gibt kaum Zweifel daran, dass Aristides an dieser Stelle den homosexuellen Verkehr meint.
Man sollte jedoch nie übersehen, dass
für Männer oder Knaben des homosexuellen Gewerbes das allgemeinere maskuline
Substantiv pornos Anwendung fand.[53]
In der klassischen Epoche scheinen das
Verb hetairein und das Begriffswort hetairesis nicht
für Hetäre benutzt worden zu sein, sondern
ausschließlich für einen Mann oder Knaben, der in einer homosexuellen Beziehung
eine mit einer Hetäre vergleichbare Stellung einnahm.[54]
Jedenfalls sind uns einige Begriffe
für männliche Prostitution bekannt, nämlich pornos, hetairekos oder hetairesis. Boswell
meint, hetairekos sei für männliche Kurtisane oder
Prostituierte höheren Kalibers verwendet worden, im Gegensatz zu pornos oder peporneumenos für
sozial niedrigere männliche Prostituierte. [Der Begriff porneia bezeichnet
aber in der nachklassischen Epoche nicht nur Prostitution, sondern jedes
sexuelle Verhalten, für das der Sprecher oder der Schreiber seine Missbilligung
bis Abscheu bekundet (vgl. 1.Kor 5,1ff; 6,9ff).
Demgegenüber sind arsenokoitai zweifellos
Männer, die in aktive homosexuelle Beziehungen verwickelt sind,
entsprechend malakoi in der passiven. John Boswells Folgerung, dass Paulus nicht die Homosexualität an sich
verurteile, sondern ausschließlich die homosexuelle Prostitution, ist ein
Elaborat pro domo sua (ein Machwerk zum eigenen Nutzen) und
kontextuell überhaupt nicht haltbar.
Damit dürfte plausibel sein, dass Paulus
auch in dem Fall, dass arsenokoitai männliche
homosexuelle Prostituierte bezeichnen würde, dennoch die passive wie aktive
Homosexualität mit jeweils einem Partner keinesfalls gut hieße.[56] Sherwin
D. Bailey schreibt: "... die technischen Termini malakoi und arsenokoitai bezeichnen
Männer, die passiv bzw. aktiv in homosexuelle Praktiken involviert
sind."[57]
Laut Paulus gehören Christen nun aber
dem Reich Gottes an und müssen wissen, dass praktizierende passiven wie aktiven
Homosexuellen gegen die heterosexuelle Ehe verstoßen (vgl. 1Kor 7,1-9) und das
Reich Gottes nicht ererben werden genauso wie die Unzüchtigen und Ehebrecher.
Meine größte Not besteht darin, dass die
meisten deutschen Bibelübersetzungen das griechische Wort „arsenokoitoi“
mit „Knabenschänder“ wiedergeben, das der Grundbedeutung des
griechischen Begriffs auf keiner Weise gerecht wird. Die homophilen
Wissenschaftler Derrick Sherwin Bailey, John McNeill, Norman Pittenger und der
kürzlich an Aids verstorbene John Boswell (Geschichtsprofessor an der Yale
University) zweifeln nicht daran, dass mit den Begriffen malakoi und arsenokoitai die
passiven und aktiven Homosexuellen gemeint sind.[58]
.2. Römer 1,26f
Laut Paulus soll Gott dafür gesorgt
haben, dass er der Menschheit nicht ein unergründliches Geheimnis ist, "denn
er hat das, was wir von ihm wissen können und sollen, an die helle
Öffentlichkeit gesetzt. Er ist ... unsichtbar. Aber seine Werke machen ihn
sichtbar, seit es Menschen gibt", kommentiert Adolf Schlatter. [Diese
wollten autonom und autark sein, in der Einbildung, damit "weise zu
sein" (1,22), dass sie ihre Herzen (auton kardia) zum
Mittelpunkt des Erkennens und Wollens erhoben - eine Emanzipation vom Schöpfer
weg, welche eine Sehnsucht nach Ersatzgöttern logisch nach sich
zog [(1,23). Der Mensch, der sich vom
"unvergänglichen Gott" emanzipiert hat, vertauscht dessen
Herrlichkeit mit Abbildern von vergänglichen Menschen, [Vögeln, (Vierfüßlern) und
Gewürm.[64] "Deswegen
hat Gott sie in den Begierden, in Unreinheit ihrer Herzen dahingegeben, dass
ihre Körper darin entehrt wurden" (1,24): Die Gründe für dieses
Strafgericht sind im schuldhaften religiösen Irrtum der Betroffenen zu suchen.[65] Die
Formel "in jemandes Hände übergeben" ist in der
jüdischen Traditionsliteratur nicht unbekannt.[66] Auch der Apostel Paulus verwendet
sie mehrmals, u. a. in 1.Kor 5,5, wo der Schuldige "dem Satan
übergeben (werde) zum Verderben des Fleisches, damit sein Geist gerettet werde
am Tage des Herrn". Nach jüdischem Glauben ist Satan der Vollstrecker
göttlicher Gerichte.[67] Diese
Übergabe bzw. Preisgabe an den Satan soll das wirksamste Strafwunder einzelner
Gottesmänner gewesen sein.[68] Die
Auslieferung bezweckte den Untergang, die Niederlage, die Vernichtung, den Tod.
In der Gerichtssprache meinte das
Verb paradidomi die Zwangsvorführung oder Zwangseinlieferung.
Auch im Alten Testament treffen wir diese Formel wiederholt an (vgl. Rcht
2,14; 6,13; Jes 65,12; Jer 32,4).[69] Die Gerichtsinstanz von Röm 1,23ff
sind weder Menschen noch der Satan, sondern die epithymia, d. h. die
Begierde, der sinnliche Trieb, die böse Lust.[70] Gott distanziert sich von den
Schuldigen und überlässt sie ihrem eigenen Wollen, d. h. der (von ihm
getrennten, unheiligen) Selbstbestimmung, die zur Selbstzüchtigung, Quälerei
führen musste.[71] Sie
zeigt sich u. a. in unersättlichem Verlangen nach geschlechtlichem Genuss
außerhalb der Ehe und beinhaltet gerade auch perverse sexuelle Neigungen,
argumentiert Hans Schönweiß und meint, dass epithymia ihre
Potenz vom Narzissmus ableitet. Er schreibt: Sie entspringt im letzten
Grunde der tief eingewurzelten Neigung des Menschen, den Mittelpunkt seines
Lebens in sich selbst zu haben, sich auf sich selbst zu verlassen, sich selbst
am meisten zu lieben.
Der Verfasser des Römerbriefes zieht
eine Parallele zwischen den perversen Gottesvorstellungen und der inversio,
d. h. der Umkehrung des Geschlechtstriebes, und bringt sie in eine Wechselbeziehung:
Die Begierde (epithymia) bedingt den Tausch (griech. allage; Verb: allasso)
der Gottesverehrung und verselbstständigt sich zu einer Macht, welche die
Trennung von dem einen Gott vollzieht und den Menschen ganz und gar
beherrscht. Gott überlässt ihn dieser "Gerichtsinstanz", weil
der Mensch „die Gottesoffenbarung in der Natur
ignoriert [und sich willentlich der
Begierde (epithymia) unterstellt hat (Röm 1,20ff), einer Macht,
die sich Götter schuf (1,23), um sich in den Kulten in aller
"Schändlichkeit" zu aktualisieren und zu realisieren.[73]
Die Wechselbeziehung (Korrelation)
zwischen Begierde (epithymia) als Urteilsvollstrecker und dem
Satz „Gott hat sich dahingegeben“ (paredoken autous ho
theos) als Gottes Urteilsspruch der Dahingabe steht unübersehbar im
Raum: Die Frauen haben den natürlichen (heterosexuellen) Verkehr mit dem
widernatürlichen vertauscht. Die weibliche Homosexualität wird
in Zusammenhang mit den Begriffen paredoken („dahingegeben“)
und epithymia („Begierde“) als Zwang -
als Folgeerscheinung der Dahingabe Gottes - und nicht als bewusste Entscheidung
der Frauen für die lesbische Liebe verstanden.
Gemäß Röm 1,26 sind lesbische
Beziehungen als von innen ausgehende „Begierde“ (epithymia) zu
verstehen. Dies belegt nicht zuletzt der Terminus
technicus „vertauschen“ oder „eintauschen“ (metallasso"). Dabei
heißt "natürlicher Geschlechtsverkehr" (physiken
chresin) für den Schreiber eindeutig die heterosexuelle Beziehung
innerhalb einer Ehe.[74] Diese
Begierde (epithymia) der Frauen für die „widernatürliche“
sexuelle Verbindung, folgert Joachim Jeremias, unterliegt nun einer
richterlichen Beurteilung durch Gott selbst, dessen Urteil lautet: Tut, was
euch beliebt.[75] Wie
sich der "widernatürliche Verkehr" der Frauen konkret äußerte, wird
in Vers 26 nicht gesagt; auch die römischen Zeitgenossen des Paulus berichten
nur spärlich darüber. Man hat jedoch ermittelt, dass römische Frauen
Lesbianismus, Transvestismus und Sodomie praktizierten, schreibt der deutsche
Theologe Ernst Käsemann.[76]
Die männliche Homosexualität wird
von Paulus ausführlicher behandelt. Die Männer haben den natürlichen
Geschlechtsverkehr mit der Frau verlassen (aphentes ten physiken
chresin tes theleias)., schreibt der Apostel. Das Verb „verlassen“
(aphiemi) in Röm 1,27 ist ein aktives Mittelwort der Vergangenheit und
wurde laut Rudolf Bultmann häufig im juristischen Sinn verwendet,
z. B. "jemand aus einem rechtlichen Verhältnis entlassen, sei
es Amt, Ehe, Haft, schuld oder Strafe (aber nie im religiösen Sinn)".[77] Die
Kombination von arsenes (pl., Männer) und theleias (Sing.,
Frau) meint jedoch das „Objekt“, nämlich die Frau, mit der sie den Verkehr
"verlassen“] und der Heterosexualität Valet gesagt haben.[79] Ihre
Bevorzugung (Präferenz) ist, "in ihrer Begier zueinander
entbrannt" zu sein (exekauthesan en te orexei auton
allelous). Die Männer sind von dem Geschlechtsverkehr mit den Frauen
abgegangen. Dass sie nicht, von sexueller Begierde befreit, als asketische
Mönche lebten, sondern ihrerseits zu widernatürlichem Verkehr übergingen, wird
mit aller Deutlichkeit gesagt: "zueinander entflammt" (ekkaio -
anzünden, anfeuern), "Männer zu Männern" (arsenes
en arsesin). Diese Unschicklichkeit, Hässlichkeit, Schande oder Unzucht
(aschemosyne) ist die Vergeltung, der "Lohn" für ihre
Verirrung: Wiederum hat die Umkehrung der Gottesverehrung zur Umkehrung des
Geschlechtstriebes geführt - laut Paulus die Quittung für Gottlosigkeit,
folgert Robertson.[80]
Röm 1,28 fasst dann die kausalen
Faktoren der Homosexualität nochmals zusammen: (1) Sie haben es nicht für gut
befunden, Gott in der Erkenntnis festzuhalten; (2) Gott hat sie darum
preisgegeben, Ungeziemendes in verwerflicher Sinnesweise zu tun. Der Ausdruck
"was sich nicht geziemt" (me kathekonta: Partizip
präsens), bringt nochmals zum Ausdruck: Die sexuelle Abweichung von
der Heterosexualität ist unvereinbar mit der Erkenntnis des einen Gottes.
· Schlussfolgerung
Man darf nicht außer Acht lassen, dass
Jesus Christus die Fragen der homosexuellen Liebe absolut nicht behandelte. Der
Grund mag darin liegen, dass er einzig die heterosexuelle Ehe für richtig
hielt. „Habt ihr nicht gelesen“, fragte Jesus die
Pharisäer, „dass der Schöpfer sie von Anbeginn an als Mann und Weib
geschaffen hat. ... Was nun Gott verbunden hat, dass soll der Mensch nicht
trennen“ (Mt 19,4.6b). Jesus scheint aber nicht der Meinung zu
sein, dass die Natur keine Sprünge macht (Natura non facit saltus). Denn
er spricht ja selbst von „Verschnittenen“ „vom Mutterleib an“ (Mt 19,12), die
ihr Sosein bejahen und Gott loben sollen. Nun haben aber die
endokriminologische und genetische Forschung die Theorie einer
konstitutionellen Anlage des homosexuellen Verhaltens noch nicht belegen können.
Jede andere Behauptung entbehrt meines Wissens jeder empirischen Beweiskraft.
Die Annahme, dass fünf Prozent - einige wenige sprechen von 25 Prozent - aller
Betroffenen unter Umständen eine angeborene Homosexualität „aufweisen“, muss
wissenschaftlich noch bewiesen werden.[81] Die Heilige Schrift der Christen
sieht in der homosexuellen Liebe einen Verstoß gegen die heterosexuellen
Institution der Ehe. Jesus begrüßte ausschließlich die heterosexuelle Ehe,
indem er in Form einer Frage dies verdeutlicht: „“Habt ihr nicht gelesen, dass
der, welcher sie schuf, sie von Anfang an (als) Mann und Weib schuf und sprach:
Darum wird ein Mensch Vater und Mutter verlassen und seiner Frau anhängen, und
es werden die zwei ein Fleisch sein, - sodass sie nicht mehr zwei sind, sondern
ein Fleisch?“ (Mt 19,4-6). Aus der Perspektive Jesu und des Apostel Paulus ist
eine homosexuelle Partnerschaft nicht gottgewollt, wohl aber die Folge des
Sündenfalls.[82]
II. Das homosexuelle Verhalten aus
psychoanalytischer Sicht
1. Die Formen der Homosexualität
Warum ein Homosexueller
gleichgeschlechtlich empfindet, ist noch nicht
endgültig beantwortet worden.[83] Die Diskussion wird fortgeführt, und ein Konsens unter den
Sexualwissenschaftlern ist durchaus noch nicht in Sicht. Denn, bevor ein
Wissenschaftler auf diese Frage eine Antwort geben kann, muss er die Ursachen
des homosexuellen Verhaltens klären. Dass die Entstehung der Homosexualität
nicht eindeutig geklärt worden ist, mag nicht zuletzt in den diversen Methoden
empirischer Erhebungen wurzeln.
Solange die Wissenschaft
noch keinen Konsens bezüglich der Entstehung homosexuellen Verhaltens
erreicht und keine der Theorien als bindend nachgewiesen hat, dürfte sich ein
Theologe keiner der wissenschaftlichen Hypothesen
ausschließlich verschreiben.[84] Dennoch müssen wir den Stand der wissenschaftlichen Erkenntnisse verfolgen,
um einem hilfesuchenden Homosexuellen jede mögliche Hilfe bieten zu können.[85]
Die heutige Sexualwissenschaft
betrachtet die Homosexualität generell als eine der vielen möglichen
Ausdrucksformen der Sexualität und als persönliche Veranlagung, "nicht
(wie man weithin meint) eine Verhaltensweise“.[87]
Der Sexualwissenschaftler Martin
Dannecker, der selbst homosexuell empfindet, hat ausdrücklich darauf
hingewiesen, dass man nur über die Homosexuellen sprechen kann, bei denen es
ein Stück weit Selbstidentifizierung als Homosexuelle gibt.[88]
Professor Götz Kockott hat sich auch der
Forschung der Ursachen des homosexuellen Verhaltens gewidmet und fragt
"zur Klärung homosexueller Neigungen zusätzlich nach, ob und wie der
Patient durch Personen oder Abbildungen von Personen gleichen Geschlechts
sexuell angeregt" wird, und fragt zusätzlich "nach dem Inhalt von
Masturbationsfantasien und sexueller Träume" von Homosexuellen. Kockott
schreibt: "Ich habe den Eindruck, dass es gerade der Inhalt der
Masturbationsfantasien ist, der bei der Eigeneinschätzung der sexuellen Orientierung
hilft, wenn ein junger Mann in seiner Ausrichtung ganz unsicher ist"[89].
Professor Walter Bräutigam spricht von
sich aus über vier Erscheinungsformen der Homosexualität: 1. Entwicklungshomosexualität,
gemeint sind homosexuelle Episoden im Jugendalter, "die bei relativ vielen
später eindeutig heterosexuellen Männern zu beobachten seien". 2. Pseudohomosexualität,
gemeint ist hiermit die Gelegenheitshomosexualität oder die
situative, "ohne dass der Beteiligte homosexuell empfindet". 3. Neigungshomosexualität,
hiermit meint man das sexuelle Interesse, das "immer auf das
gleiche Geschlecht gerichtet gewesen" ist. 4. Hemmungshomosexualität,
man gibt bei dieser Triebrichtung einem gleichgeschlechtlichen Partner Vorzug,
und zwar "bei starken neurotischen Hemmungen vor dem
Gegengeschlecht"[90].
Der Sexualwissenschaftler Hans Peter
Dreitzel fasst die Angaben der Formen der Homosexualität von Walter Bräutigam
zusammen und ergänzt: "Homosexuelle spielen in der Regel nur dort
eine Rolle, wo ihr sexuelles Verhalten in irgendeiner Weise sanktioniert wird.“ Er
sieht "ihr Verhalten als ein die ganze Persönlichkeit
Affizierendes (Betroffenes)" und meint damit die Neigungshomosexualität.[91]
2. Die kausalen Faktoren der
Homosexualität
· Einleitende Gedanken
Wie gesagt, die Entstehung der
Homosexualität ist noch nicht endgültig geklärt worden. Die psychoanalytische
Forschung ist zwar - wie in jeder Wissenschaft - ein die Zeit überdauernder
Kernbestand an Erkenntnissen, aber mit zeitgenössischen trendbedingten
Schlacken behaftet. Das deutsche Wochenmagazin "Der Spiegel" schrieb
am 26. Juli 1993:
"... die Erinnerung an die unheilvolle Rolle der
Wissenschaften im Dritten Reich, aber auch die Weigerung, sich immer wieder als
Objekt unterschiedlichster Forschung betrachtet zu sehen, führte in der
deutschen Schwulenbewegung dazu, die Frage nach dem Ursprung von Homosexualität
zu verdrängen. Jeder kleinste Versuch in diese Richtung wird mit Gegenwehr
beantwortet."
Ein folgendes Beispiel mag diese
Schlussfolgerung verdeutlichen Am anthropologischen Institut der
Universität Hamburg wurden 1985 Blut- und Speichelproben einer homosexuellen
Kontrollgruppe entnommen, um über den Zusammenhang zwischen Hormonen und
Persönlichkeitsmerkmalen Aufschluss zu gewinnen. Die Studie musste
aber nach dem Protest homosexueller Gruppen abgesetzt werden.
Das Vorstandsmitglied des deutschen
"Bundesverbandes Homosexualität" Wolfram Setz verteidigte den Protest
mit dem Argument: "Wenn die Ursachen entdeckt sind,
kann das Phänomen beseitigt werden."[92] Wir müssen zur Kenntnis nehmen, dass
eine seriöse wissenschaftliche Ursachenforschung der Homosexualität
wird, demnach durch die Bedenken homosexueller Organisationen weltweit
erschwert.
Setz hat jedoch in dem Recht, dass die
genauen Erkenntnisse über die Entstehung der homosexuellen Triebe dazu führen
könnten, ein "Erfolg versprechendes psychotherapeutisches Verfahren"
zu entwickeln, um bei Anfrage und Bedarf die gleichgeschlechtlichen
Empfindungen eines Menschen in die heterosexuelle Neigung umzupolen. Die nicht
selten erfolglosen diversen psychotherapeutischen und seelsorgerlichen
Methoden, welche zwecks Behandlung den in Not geratenen Homosexuellen
angeboten werden, resultieren aus lückenhafter Kenntnis der Ätiologie (der
Theorie der Entstehung) der Homosexualität. Aber
die wissenschaftliche Forschung wird trotz vieler Gegenstimmen auf
diesem Gebiet weiter geführt.
2.1. Der Anlagefaktor
Der homosexuell veranlagte amerikanische
Neuroanatom Simon LeVay, Direktor eines
amerikanischen Instituts für homosexuelle und lesbische Erziehung, der aus
Überzeugung propagiert, dass Homosexualität Schicksal sei, sezierte trotz
Bedenken einiger deutschen homosexuellen Organisationen Hirne von Leichen und
ist damit berühmt geworden. Er hatte das Zwischenhirn von 19
homosexuellen Patienten seziert, die an AIDS gestorben waren,
und verglich sie mit den Hirnen von 16 Männern und 6 Frauen, die
nach Angaben ihrer Verwandten heterosexuell gewesen waren. Das tiefgefrorene
Hirn zerschnitt er in 50 Mikrometer feine Scheiben, maß auf jedem Schnitt die
Größe der einzelnen Zellgruppen aus und errechnete so das Volumen der
verschiedenen Bereiche in dem Areal, das als zuständig für sexuelles Verhalten
gilt.
Er kam zum Ergebnis, dass eine der
Zellgruppen im Hypothalamus - d. h. unter dem Hauptteil liegendem
Zwischenhirn (INAH 3) - bei Homosexuellen nur halb so groß war wie
die entsprechende Zellgruppe bei Heterosexuellen - und damit etwa so
groß wie bei den Frauen.[93] LeVay meinte,
im Geflecht der grauen Zellen unter der Schädeldecke das Geheimnis seiner
homosexuellen Orientierung gefunden zu haben. Er kam zur
Schlussfolgerung, dass Homosexualität biologisch - wenn gleich nicht
notwendigerweise genetisch - begründet sein müsse, weil das Gehirn von
homosexuellen Männern dem von Frauen ähnlich sei.[94] LeVays Forschungsabsichten
haben zum Ziel, nachzuweisen, dass eine Reorientierung der homosexuellen
Triebe nicht möglich und auch nicht notwendig sei.
Viele wissenschaftlichen Kollegen LeVays
haben aber seine Hirnforschung heftig kritisiert. Erstens,
meinen sie, soll er bei den beschriebenen Untersuchungen der Einzige gewesen
sein, der die Hirnschnitte ausgewertet hatte; zweitens,
gibt die Zeitschrift "Science" zu bedenken, sind die Zellgruppen im
Hypothalamus sehr schwer voneinander abzugrenzen; und drittens meint William
Byne, Psychiater an der Columbiauniversität, gibt es keine weiteren
Studien, die einen solchen geschlechtsspezifischen Dimorphismus - d. h.
das Auftreten verschiedener gestalteten Formen der Sexualität - reproduzierbar
belegt hätten.[95]
"Byne erwähnt,
dass ihm wegen seiner kritischen Haltung antihomosexuelle Motive und sogar eine
politisch rechtsgerichtete Einstellung unterstellt würden. ... Diese
Erfahrungen lassen ihn fürchten, dass genetische Erklärungsmodelle für ein
Verhalten - so sie zu verifizieren seien - Vorurteile durchaus schüren könnten,
statt sie abzubauen."[96]
Denn bereits im Jahre 1936 formulierte
der NS-Erbbiologe Theo Lang, dass "den meisten Fällen
von Homosexualität eine Störung des Chromosomensatzes zugrunde liege." Diese
Feststellung muss dazu beigetragen haben, dass der dänische Arzt Carl Peter
Jensen (unter dem Namen Vaernet) 1944 im Auftrag der SS Hormonversuche an
homosexuellen Häftlingen im KZ Buchenwald durchführte. In einem Brief an seine
Auftraggeber schrieb Vaernet: "Die Versuche sollen auf breiter
Basis feststellen, ob es durch Implantation einer künstlichen
Sexualdrüse möglich ist, einen abnorm gerichteten Sexualtrieb zu
normalisieren."[97]
Der britische Wissenschaftler M.
Sydney. Margolese untersuchte das Blutserum von je
zehn homosexuellen und heterosexuellen Männern und kam zum Resultat,
dass der Androsteronspiegel (männliches Keimdrüsenhormon) bei
Homosexuellen im Vergleich mit den Heterosexuellen niedriger war.[99] Robert
C. Kolodny, L.S. Jacobs und andere haben im Blutplasma einer Gruppe
von Homosexuellen einen niedrigeren Testosteronspiegel[100] (Testosteron
= auch ein Hormon der männlichen Keimdrüsen) sowie weniger
Spermatozoen in der Samenflüssigkeit und eine geringere Spermienmobilität im
Vergleich mit einer heterosexuellen Kontrollgruppe und einer andren Gruppe
von Homosexuellen mit nicht hundertprozentiger homoerotischer Neigung
festgestellt.[101]
Der Wissenschaftler H.F.L. Meyer-Bahlburg meint
dagegen, Untersuchungen von Blutplasma, die zwischen 1971 und 1977 vorgenommen
wurden, hätten keine Unterschiede im Testosteronspiegel von homo- und
heterosexuellen Männern nachweisen können.[102] Er warnt prinzipiell vor
vorschnellen Schlussfolgerungen, da der Testosteronspiegel von Woche zu Woche,
ja schon von Tag zu Tag starken Schwankungen unterworfen sein könne.[104]
Philip Feldman und Malcolm MacCulloch
ziehen ihrerseits das Fazit, dass das homosexuelle Verhalten sowohl
durch hormonale bzw. genetische als auch durch umweltbedingte Faktoren bestimmt
werde.[105] Man darf, meinen sie, hilfesuchenden Homosexuellen keinesfalls eine
Therapie verweigern, wenn ihre Lebensfreude beeinträchtigt ist und die
erworbenen Konditionen überwiegen.[106] Der bekannte amerikanische
Psychotherapeut Charles Silverstein dagegen verweigerte einem
englischen Geistlichen jede Therapie, als dieser nach New York kam und
um Hilfe nachsuchte, weil er nicht mit
seiner Homosexualität leben wollte. Silverstein gab ihm auch
keine Hinweise darüber, wo er therapeutischen Beistand finden könnte. "Ich
glaube nicht", meint Silverstein, "ich
könnte es verantworten, einer Person irgendeine Therapie anzubieten, die meinen
Prinzipien und Werten widerspricht."[107]
Günter Dörner geht davon aus, dass sich in Zukunft die Möglichkeit ergeben könnte,
(männliche) Homosexualität pränatal (vor der Geburt) zu
diagnostizieren und beim Fötus zwischen dem 4. und 7. Monat durch
Hormontherapie in utero der unerwünschten Neigung beizukommen.[108] Laut
der kanadischen Molekularbiologin Kary Mullis wird es "in
zehn Jahren höchstens eine Stunde (dauern), die gesamte Erbanlage eines
Menschen zu entschlüsseln und seine Zukunft vorauszusagen" - und
dann gezielt zu modifizieren. Denn sind die Gene dechiffriert, dann lassen sich
am Embryo auch die Erbinformationen bezüglich seiner
Sexualorientierung manipulieren.[109]
Die neuesten sexualwissenschaftlichen
Theorien über die Entstehung der Homoerotik unterscheiden sich im
Wesentlichen von den der griechische Klassiker und weiterer antiker Autoren
kaum. Aristoteles (384-322) sprach z. B. von einer konstitutionell bedingten
Homosexualität, wobei er zwischen einem naturgemäßen und einem nicht-naturgemäßen Vergnügen
unterschied. Er reihte den homosexuellen Verkehr der Männer unter die
Phänomene ein, die bei manchen aus einer Naturanlage an die
Oberfläche treten, bei manchen aber aus Gewöhnung stammten,
z. B. bei Männern, die als Knaben bereits zur Lust missbraucht wurden. Wenn
die Ursache konstitutionell bedingt ist, lehrte er, kann niemand von
Unbeherrschtheit des Betroffenen reden.[110]
Aristoteles begründet das Verhalten der
passiven männlichen Homosexuellen so: Naturgemäß bildet sich die
Samenflüssigkeit in den Genitalien; nicht so aber bei Männern, die es genießen,
dem Geschlechtsverkehr unterworfen zu werden - bei ihnen
werde das Sperma in kleinen Mengen und nicht unter Druck im Mastdarm
abgesondert, und an der Stelle der Absonderung bereite die Friktion
sexuelle Lust.[111]
Diese Übereinstimmung ist nicht zuletzt
damit zu erklären, dass der zeitgenössische Trend, der den Kampf des Für und Wider der homosexuellen Lebensweise
widerspiegelt und jede ernsthafte Ursachenforschung
der Homosexualität nicht unbedingt will.
2.2. Der neurotische (durch
Fehlentwicklung) krankhafte Faktor
Der niederländische Psychologe Gerhard
J.M. van den Aardweg weist jedoch darauf hin, dass endokrinologische und genetische Forschungen
die Theorie einer Erbanlage ("einer wie auch immer gearteten hormonalen
Dysfunktion oder somatischen Krankheit") nicht belegen konnten, noch
wurde Freuds "prädisponierender", d. h. vorher bestimmter,
(physischer oder physiologischer) Faktor nachgewiesen. Darum lasse sich nicht
mehr "rational begründet" postulieren, Homosexualität sei "eine
'normale Variante' menschlicher Sexualität", sondern müsse als eine
Störung gelten.[112]
Gerhard J.M. van den Aardweg nennt als
ihre Ursache eine psychologische Tatsache, die er "für das
Verständnis der Homosexualität als zentral" betrachtet: "Das
mit der Homosexualität verbundene neurotische Selbstmitleid“. Wir
finden bei jedem homosexuellen Menschen den Ausdruck einer neurotischen
emotionalen Störung. Wie jeder Neurotiker leidet der homosexuelle Mensch unter
dem Mechanismus eines automatischen Selbstmitleides, dessen Ursprung in der
Kindheit liegt und das einen dauerhaften Einfluss auf sein Gefühlsleben
ausübt".[113]
Im weiteren führt er aus, dass ein
"Autopsychodrama", d. h. die Fixierung auf ein Trauma, das
neurotische Selbstmitleid und dieses die Inversion bewirke.[114] Diese
Theorie beinhaltet die Annahme, die Umwelt lege das Verhalten fest.
Eine marginale Notiz: Die Gegner des gleichgeschlechtlichen Lebens wünschen sich solche
Erkenntnisse, die ihnen das Werkzeug in die Hand legen würden, das homosexuelle
Verhalten zu ändern. Die Protagonisten (Befürworter) der homosexuellen Liebe
begehren jedoch solche Forschungsergebnisse, welche das Coming-out der
Homosexuellen auf der ganzen Linie rechtfertigen.[115] Entsprechend
umstritten ist deshalb die Einordnung und Bewertung der Homosexualität. Eine
Gruppe von Sexualwissenschaftlern neigt dazu, sie als nicht pathologisch, der
Heterosexualität ebenbürtig zu bezeichnen.[116] Andere
werten die Homosexualität als Krankheit im Sinne einer neurotischen
Fehlentwicklung, die der Therapie bedürfe.
Professor Rudolf
Seiß argumentiert dementsprechend: Die Perversion - inklusive
Homosexualität - muss unter einem dynamischen Krankheitsbegriff als funktionale
Deviation (sexuelle Abweichung von der heterosexuellen Norm) angesehen werden.
So wie ein Organ krank ist, wenn es nicht mehr leistet, wozu es von der
Organstruktur her bestimmt ist, so ist auch eine Funktion krank, wenn sie nicht
mehr gemäß der erkennbaren Zusammenhänge arbeitet. Demnach darf sich der
Perverse einer Therapie nicht entziehen.[117]
2.3. Der umweltbedingte Faktor
Sigmund Freud kam bekannterweise zum
Ergebnis: Jeder Mensch mache verschiedene sexuelle Entwicklungsstufen durch,
die sich durch besondere Merkmale unterscheiden würden. Wird ein Kind durch
Erziehungsfehler auf einer bestimmten Entwicklungsstufe fixiert, kann es nebst
anderem sexuellen Fehlverhalten auch Homosexualität entwickeln. Als Beispiel
lässt sich das Verhältnis eines Kindes zu seinen Eltern anführen, meinte Freud
und erklärte:
Ist ein Knabe zu sehr an seine Mutter gebunden,
kann er aus instinktiver Angst vor dem Weiblichen seine sexuellen Spannungen
in Richtung auf das männliche Geschlecht kanalisieren und homosexuelle Beziehungen
suchen. Ein Mädchen, das Angst hat vor dem Vater, identifiziert ihn mit allen
Männern und weicht ihnen aus, und ihre Neigung richtet sich im sexuellen
Entwicklungsalter nur auf Frauen.[118]
Darum kommt der neofreudsche
Theoretiker Irving Bieber zur Schlussfolgerung: „Homosexualität
ist eine pathologische bisoziale, psychosexuale Anpassung, die aus der
allgegenwärtigen Angst vor dem Ausdruck von heterosexuellen Impulsen
resultiert"; wobei die Schuld bei den Eltern zu suchen
sei: Beim zurückhaltenden, feindseligen, kühlen Vater
wie bei der dominierenden, unterdrückenden Mutter.[119]
Aufgrund dieses Befundes ist jeder
Homosexuelle latent (unterschwellig) heterosexuell und darf für seine
gleichgeschlechtliche Liebe keinesfalls bestraft werden, sondern sollte in den
Genuss ärztlicher Behandlung kommen.[120]
Der Verhaltensforscher
(Behaviorist) Burrhus Frederic Skinner, der durch das Studium des
Verhaltens von Lebewesen deren seelische Merkmale zu erfassen suchte, führte
ähnlich wie Freud aus:
Unser gegenwärtiges
Verhalten ist die Folge einer komplexen bedingten Vorlage bzw. Vorzeichnung,
die wir in der Kindheit erhalten haben. Die Kindheitseinflüsse einschließlich
der ERZIEHUNG prägen
also das Verhalten des Erwachsenen.[121]
Bekanntlich vertrat Skinner den deterministischen Behaviorismus,
glaubte indes an einen "Rekonditionalismus", (d. h.,
menschliches Verhalten lässt sich durch eine Serie von "Belohnung
und Strafe“ -maßnahmen ändern, indem der Betroffene veranlasst wird,
die belohnte Verhaltensweise zu praktizieren). Auch Charles Young schließt
sich Freud und Skinner an und meint: Homosexualität sei
hauptsächlich eine erworbene Kondition und könne geändert werden,
wenn jemand motiviert werde, umzulernen.[122]
David Lester wehrt sich einzig dagegen,
dass man durch retrospektive Studien über Homosexuelle deren Eltern für die
quasi Fehlentwicklung schuldig spricht, ohne sie oder andere Drittpersonen, die
sicher relevante Informationen über die Familienverhältnisse beisteuern hätten
können, befragt zu haben.[123]
Laut Alfred Adler soll
die Homosexualität immer aus psychischen Quellen stammen,[124] wobei körperliche Idiosynkrasien
(hochgradige Abneigung oder Überempfindlichkeit eines Menschen gegenüber bestimmten
Personen) der Homosexualität Vorschub leisten können. Mit solchen physischen Eigenarten
meint man eigentlich den Schein, der die Andersgeschlechtlichkeit hervorruft.
Adler kommt zum Schluss, die Homosexualität zeige sich als missglückter
Kompensationsversuch bei deutlichem Minderwertigkeitsgefühl und
sei demnach auch eine Revolte des subjektiven Schwächeempfindens gegen
Forderungen, die sich aus dem gesellschaftlichen Leben ohne Zwang ergäben, und
ziele auf einen fiktiven, subjektiv begründeten Triumph der eigenen
Überlegenheit.[125]
Vgl. Die 10 Thesen zu den
Sexualitäten. Webseite: http://www.rolf-gindorf.de/dgssinst/i_sex.htm
1. Beim Menschen ermöglicht Sexualität –
anders als bei den meisten Tieren – nicht nur die Fortpflanzung, sondern vor
allem auch das Gewähren und Empfangen von Lust sowie soziale,
partnerschaftliche Beziehungen.
2. Bei unserer Geburt ist unsere
Sexualität noch nicht auf eine bestimmte Form oder Richtung festgelegt.
Ursprünglich sind wir alle grundsätzlich fähig, sexuelle Lust sowohl allein als
auch mit anderen zu erleben. Das Geschlecht der anderen ist dabei zunächst
grundsätzlich nicht von Bedeutung.
3. Entgegen früheren Anschauungen des
19. Jahrhunderts, die man aber auch heute noch (oder schon wieder!) hören kann
und die sogar von einigen (meist Natur-)Wissenschaftlern wieder vertreten
werden, hat die moderne Sexualwissenschaft keine bestimmte
"Veranlagung" (biologisch-genetische Bestimmung) finden können, die
einen Menschen allein aufgrund angeborener körperlicher, biologischer Merkmale
zu einer bestimmten Form oder Richtung der Sexualität ("sexuellen
Orientierung") zwingen würde.
2.4. Homosexualität als Alternative zur
Heterosexualität
Der 1984 verstorbene Zürcher Psychoanalytiker Fritz
Morgenthaler betrachtete die Homosexualität als eine Entwicklungsmöglichkeit
analog zur Heterosexualität. Denn bei allen Menschen werde
die narzisstische (Selbst-)Entwicklung durch den Bruch der
ursprünglichen Mutter-Kind-Einheit notwendigerweise gestört. Die daraus
resultierende Lücke verursacht Angst, weshalb jeder danach strebt, sie
auszufüllen, um "die Schönheit des Bildes seiner selbst herzustellen".[126] Irgendwann in der Kindheit macht
der Mensch die Erfahrung, dass autoerotische Befriedigung Störungen in
der narzisstischen Homöostase (Gleichgewicht der Körperfunktionen
beim Gesunden) ausgleichen kann; eine Überbesetzung der selbstbefriedigenden
Aktivität senkt die Intoleranz gegenüber Entmutigungen und überbrückt sie.
So hat die Überbetonung der Autoerotik
eine ausgleichende Funktion zur Füllung der Lücke, welche die
Mutter-Kind-Einheitsstörung darstellt. Es kann aber auch das andere Geschlecht
die Repräsentanz zur Kompensation übernehmen, in welchem Fall sich eine
heterosexuelle Beziehung entwickelt.[127] Demzufolge
ist die Homosexualität einfach ein anderer Weg zur narzisstischen Homöostase
(der Weg, das Gleichgewicht im Spektrum der Selbstliebe herzustellen), zur
Identität und Triebbefriedigung unter Vermeidung von Nachteilen für das Selbst.
Die meisten Menschen sind in ihrer
Selbstentwicklung praktisch gestört. Darum versuchen sie diesen Mangel, durch
homosexuelle oder heterosexuelle Kompensation auszugleichen. So besteht das
Glück des homosexuellen wie des heterosexuellen Orgasmus in der großartigen
Bestätigung der Kohärenz (der Vereinigung) des eigenen Selbst.[128]
Mary Jane Sherfey vertritt die Hypothese, dass der menschliche Fötus
ursprünglich weiblich sei, bis er sich im Laufe der Schwangerschaft durch
die Einwirkung von Androgen männlich entwickle. Psychosexuell besteht
laut Sherfey bei der Geburt kein Unterschied zwischen den Geschlechtern; die
psychosexuelle Persönlichkeit wäre demnach als "nachgeburtlich"
völlig angelernt. Die Findung der Genus-Identität ist die erste
Identifizierung, die ein menschliches Wesen vollzieht, demnach die
dauerhafteste und weit tragendste. Das Geschlecht ist zwar biologisch,
der Genus jedoch psychologisch und damit kulturell bedingt. So determiniert
(bestimmt) die Umwelt, welches sexuelle Verhalten sich beim Menschen durch den
"psychogenen Prozess" herausbilden wird.[129]
Der Psychologieprofessor John Money
kommt zur Schlussfolgerung: Die Disposition in Richtung der einen oder
anderen sexuellen Orientierung tritt für den Menschen als angeboren in
Erscheinung, wenn auch als Folge des Einflusses der Geschlechtshormone auf die
Entwicklung der Bahnen sexueller Empfindung im Gehirn (sexual pathways in
the brain).[130]
Erich Fromm wehrt sich vehement gegen die These, Homosexualität sei eine
gleichwertige Alternative zur Heterosexualität und geht von einer Polarität des
maskulinen und des femininen Prinzips im Innern des Menschen aus. Der Mann wie
die Frau findet die Einheit in sich selbst nur in Gestalt der Vereinigung seiner
bzw. ihrer weiblichen und männlichen Polarität. Diese Polarität ist laut Fromm
auch die Grundlage jeder Kreativität. Im Liebesakt zwischen Mann und Frau
werden daher beide wiedergeboren. Die homosexuelle
Abweichung von dieser Norm entsteht dadurch, dass die polarisierte Vereinigung
nicht zustande kommt. Hierdurch leidet der Homosexuelle unter dem Schmerz der
nicht aufgehobenen Getrenntheit, wobei es sich übrigens um ein Unvermögen
handelt, das er mit dem durchschnittlich heterosexuell Veranlagten, der nicht
lieben kann, teilt. Erich Fromm verneint die Fähigkeit des Homosexuellen, im
gleichgeschlechtlichen Kontakt eine Bestätigung der Kohärenz bzw. der
Vereinigung seines Selbst zu empfinden.[131]
2.5. Schlussfolgerung
Damit habe ich einige Pros und Kontras zu
den bestehenden Theorien über die kausalen Faktoren der Homosexualität
aufgezeigt. Klar scheint jedenfalls zu sein, dass bezüglich der Ursachen der
Homosexualität noch keine Einstimmigkeit unter den Wissenschaftlern besteht.
Grundsätzlich muss ja gelten, dass jede These, für die keine genügenden
wissenschaftlichen Beweise erbracht worden sind, infrage zu stellen ist.[132]
Rudolf Seiß geht davon aus, dass die Homosexualität einem Hängenbleiben in der
Entwicklung von der Auto- über die Homo- zur Heteroerotik gleichkommt. Er referiert:
"Der Perverse ... bleibt auf dem Wege zu ihr (d. h. zur Heteroerotik)
durch Fixierung stecken. Er wagt nicht dieses Sichhingeben."[133] Der katholische Moraltheologe Karl
Hörmann geht mit Seiß konform und meint ebenso, die Homosexualität sei
Ausdruck des Steckenbleibens im sexuellen Reifungsprozess, in dem der
Betreffende nicht von der Icheinstellung oder Autoerotik zu der Du-Beziehung
gelange; in der Zuwendung zum gleichgeschlechtlichen Partner entferne man sich
weniger vom eigenen Ego als in der Beziehung zum andersgeschlechtlichen.[134]
Die meisten Mediziner basieren ihre
Arbeiten nach wie vor darauf, dass Heterosexualität der biologischen
Beschaffenheit des Menschen entspricht und das medizinisch Normale ist. So
weist Gottfried Roth darauf hin, dass die angemessene Funktion
der männlichen und weiblichen Sexualorgane nur in dieser Korrelation gewährleistet
ist, tendiert doch der Sexualtrieb - seinem Sinn folgend - zum heterosexuellen
Partner. Die sexuelle Liebe lasse sich aber nicht ausschließlich vom
Somatischen her definieren, sondern sei der Höhepunkt im Ausdruck personaler
Liebe zwischen Mann und Frau. Die Ehebeziehung ist laut Roth nicht nur sublimierte
Sexualität, sondern umfasse durchaus auch "integrierte Sexualität als
Ausdrucksform letzter sich verschenkender Hinneigung in der Leiblichkeit".[135]
III. Homosexuelles Verhalten aus
therapeutischer Sicht
· Einleitende Gedanken
Die Ablehnung, an einer Reorientierung
von Homosexualität auf Heterosexualität mitzuwirken, beruht bei meisten
Spezialisten auf der bejahenden Akzeptanz des homosexuellen Verhaltens, wobei
diese Akzeptanz auch religiös begründet worden ist. Die verbreitete
Auffassung, dass Jesus die Diskriminierung der Menschen aufgehoben und jeden in
seinem Sosein akzeptiert habe, verknüpft häufig die Folgerung, dass er durch seine
prinzipielle Akzeptanz jeden Diskriminierten samt dessen Verhalten bestätigt
habe. Das ist aber unzutreffend, wie der ehemalige Landessuperintendent Horst
Hirschler in Göttingen 1979 ausführte:
Wenn sich einer in
seiner Andersartigkeit von Jesus angenommen sah, bedeutete das für ihn eine
große Befreiung. Eine Befreiung, die ihn gerade nicht auf das festlegte, was er
immer war.[136]
Konträr zur Position Jesu ist der Slogan
"Homosexualität ist beautiful" (schön), mit dem ein
Sexualwissenschaftler oder Theologe den Homosexuellen auf seinen Weg fixiert.[137]
Tatsächlich stellt die bejahende Akzeptanz
des homosexuellen Verhaltens vielfach nur eine Methode dar, den jeweiligen
homosexuellen Menschen überhaupt nicht wahrzunehmen. Ist er aber als Person
angenommen, gewinnt er erst die eigentliche Freiheit, sich den für ihn
richtigen Weg zu suchen. Die Alternative einer Reorientierung mittels
medizinischer Therapie von vornherein abzublocken, ist unverantwortlich, wenn
nicht geradezu inhuman.[138]
1. Gruppentherapie im Kontext der
Kirchen
Im Kontext der Kirchen wurden den
Homosexuellen teilweise Kontaktgruppen (fellowship groups), den Anonymen
Alkoholikern vergleichbar, angeboten, mit der Absicht, dass die Teilnehmer
eine sexuelle Reorientierung erarbeiten sollten. Die Veränderung auf dem Verhaltensniveau
erwartet man mittels kognitiver Veränderung auf der Basis einer Erläuterung
der biblischen Sexualprinzipien: Sie soll die homosexuellen Personen dazu
bringen, ein "christusähnliches Leben" zu führen. Diese Erwartung
hatte bei einigen Therapieteilnehmern eine intrapsychische Entscheidung und
bleibende Abwendung von der homosexuellen Identität zur Folge.[139] Es
wurden übrigens auch in nichtkirchlichem Kontext psychodynamische
Verhaltensmethoden in Gruppentherapien angewandt, um Aversion und Ablehnung
homosexueller Praktiken zu wecken und homosexuelle Personen so zur Sublimierung
(gemeint ist die Umpolung) ihrer Triebe zu führen.[140].
Spezifische Resultate haben katholische
Kleingruppen für Therapie mit Homosexuellen erbracht, die John Harvey in
der katholischen Kirche in den USA einführte. Gruppenteilnehmer sind je
homosexuelle Männer und Frauen, die einander im Erarbeiten des Zieles, ein voll
integriertes Leben zu finden, unterstützen. Eine Gruppe kommt
wöchentlich für zwei Stunden zusammen. Die erste Stunde ist
für Gebet, Meditation, biblische Reflexion und das Austeilen der Kommunion
reserviert, in der Zweiten findet ein intensiver
Gruppendialog statt. Ausgangspunkt ist das "Bekenntnis" der
eigenen Homosexualität, die nun aber, als nicht selbst gewählt, akzeptiert
wird. Zur Therapiemethode gehört die Aufstellung eines
persönlichen Lebensplans für jedes Gruppenmitglied mit detailliertem
Wochenplan, dem gemäß ein christusähnliches Leben angestrebt wird, wie
Harvey formuliert.[141] In
der Gruppe lässt jeder den andern an seiner Existenz teilnehmen. Hier darf und
soll er sich selbst sein, seinen tiefsten Emotionen Ausdruck geben, ohne Angst
vor Ablehnung haben zu müssen. Der Austausch über empfundene Schmerzen,
Ängste, Freude, spirituelle Erfahrungen und weitere relevante Themen haben
sich als hilfreich erwiesen. Zudem kann Gottes Wort in der Begegnung von
Menschen Realität werden.[142] Die
gelegentliche Anwesenheit heterosexueller Gruppenteilnehmer kann zur
gegenseitigen Verständigung beitragen, Vorurteile und Antipathien abbauen
helfen. So erlebte Annahme kann den "Ex-Homosexuellen" zusätzlich
motivieren, seine gleichgeschlechtliche Wünsche zu überwinden und zu einer
heterosexuellen Beziehung heranzuwachsen.[143] Somit bieten diese Therapiegruppen
exklusive Gelegenheit, tiefe, konstante, nichtsexuelle
Freundschaftsbeziehungen einzugehen. "Solche Freundschaften“,
meint Harvey, „helfen nicht nur den Personen, keusch zu bleiben, sie mildern
auch die Einsamkeit."[144] Die
theologische Prämisse für diese Gruppentherapie ist Harveys biblische Exegese,
demzufolge die menschliche sexuelle Aktivität zwischen Mann und Frau, nicht
zwischen Männern bzw. zwischen Frauen geschaffen wurde. Harvey ist
überzeugt, "dass Gott jedem Menschen ein Übermaß an Gnade gibt,
sein Gesetz einhalten zu können".[145]
2. Die positive kirchlich-dogmatische
Therapie
Das theologische Bekenntnis zur
Heterosexualität zieht ein Nein zu homosexuellen Praktiken nach sich.
Professor Richard Foster argumentiert: Auch wenn man die
statistischen Befunde der Sexualwissenschaft zur Kenntnis nimmt, nämlich, dass
rund fünf Prozent der Männer und rund zweieinhalb Prozent der Frauen einen
chronischen gleichgeschlechtlichen Sexualtrieb haben[146] - wenn man also damit eine nicht
unbeträchtliche Minderheit mit homosexueller Neigung feststellt, so darf man
in der christlichen Kirche dennoch nicht der Versuchung erliegen, (zumindest)
die "konstitutionelle" Homosexualität anders denn als Devianz von
Gottes Intention einzuordnen.[147] Denn auch wenn ein Homosexueller
nicht für seine sexuelle Neigung verantwortlich ist, so ist er doch zweifellos
dafür verantwortlich, was er tut. Ferner gibt Foster zu bedenken:
Entscheidungen müssen
getroffen werden, und Christen, die eine homosexuelle Orientierung in sich
tragen, müssen diese Entscheidungen im Lichte der Wahrheit Gottes und der
Gnade Gottes treffen.[148].
Die Sexualwissenschaftler Philip
Feldman und Malcolm MacCulloch haben darauf
hingewiesen, dass der Entschluss, sich der Lehre der Kirche zu unterstellen und
sie voll zu akzeptieren, bei einer beobachteten Gruppe von Männern zu einer
Reduzierung der homosexuellen Erlebnisse geführt hat. Wörtlich:
Die Annahme der
Doktrinen einer Kirche stand bei Männern in Relation zu den sexuellen
Frequenzen: Diese betrugen (nur) zwei Drittel oder weniger der Frequenzen unter
Männern des entsprechenden Alters und Bildungsgrads ohne aktive Bindung an
eine Kirche. Wie Kinsey festhält, war dies entweder die unmittelbare Auswirkung
kirchlicher Lehre, oder aber jene Personen, die aktiv in einer Kirche
integriert wurden, waren eine selbst selektionierte Gruppe, die auch sonst
keine hohen Frequenzen sexueller Bekundung aufgewiesen hätte.[149]
Aus pastoraltheologischer Sicht nennt
Foster für Homosexuelle drei Möglichkeiten, mit ihrer Neigung umzugehen: Sie
bewältigen sie entweder durch Änderung oder durch Kontrolle ihrer homosexuellen
Orientierung - oder sie üben diese aus. Zur dritten Variante merkt
Foster an: Die christliche Gemeinde kann solchen, die sich unfähig
fühlen, ihre Inklination zu verändern oder das Zölibat zu wählen, nicht
erlauben, die Homosexualität auszuleben. Wird indes eine derartige tragische
moralische Wahl getroffen, sollte der bestmögliche moralische Kontext
beibehalten bzw. gewährt werden.[150] Doch glaubt Ted D. Evans,
man dürfe niemals die Hoffnung auf "Umpolung" der Homosexuellen
aufgeben und müsse alles unternehmen, um sie bis zur heterosexuellen Ehe
hinzuführen, wobei man die auftretenden Schwierigkeiten durchaus nicht
ignoriert oder ausklammert.[151]
Zieht man die Umpolung eines
Homosexuellen als pastoraltheologisches Ziel in Betracht, so wird man um so
weniger ignorieren dürfen, dass in den christlichen Kirchen eine gewisse
Homophobie nicht zu verneinen ist. Richard Lovelace plädiert
mit Grund für mehr Einfühlungsvermögen der Christen in die Lage jener
Homosexuellen, die mit ihrer Neigung im Dauerkonflikt leben, eben weil sie
diese zu überwinden suchen. Die Integration solcher Personen in den kirchlichen
Kontext und die Anteilnahme an ihren Kämpfen würde das Leben homosexuell orientierter
Christen erleichtern und ihnen helfen, die Alltagsprobleme zu bewältigen[152] -
womit wir bei einem weiteren Aspekt einer positiven kirchlichen
Therapieunterstützung sind.
Der Leiter des Quest Learning Center in
Pennsylvania, selbst ein Homosexueller, Colin Cook, versucht
der Homophobie in diesem Sinn entgegenzuwirken, damit konvertierte Gläubige
mit homosexueller Veranlagung in den Kirchen als Mitchristen Akzeptanz finden
und nicht als "Homosexuelle" stigmatisiert (d. h. gebrandmarkt)
werden. Jeder müsse sich nämlich seiner Sündhaftigkeit bewusst werden, die sich
auch in der Verachtung des Nächsten mit andersgearteter Sexualorientierung
manifestiere.[153] Ein
Ja zur Person mit konstitutioneller homosexueller Orientierung schließt
keinesfalls das Nein zu homosexuellen Handlungen aus, meinen die Mediziner E.
Mansell Pattison und Myrna Loy Pattison vom Department of Psychiatry and Health
Behavior des Medical College of Georgia. Sie haben im Dezember 1980 von elf
Männern berichtet, die behaupteten, in einer Pfingstgemeinde von exklusiver
Homosexualität in die „exklusive Heterosexualität“ umgepolt worden zu sein.[154]
Der katholische Theologe J. Harvey und
sein protestantischer Kollege D.S. Browning meinen, dass die Mehrheit der
Homosexuellen ihre Orientierung zwar nicht wählen, aber die Freiheit besitzen,
sich homosexueller Akte zu enthalten. Auch wenn diese Freiheit bei vielen begrenzt
ist, sind sie jedenfalls zu intensiven Freundschaften mit anderen Personen
fähig, ohne die Beziehung genital zum Ausdruck zu bringen. Dies nicht zu tun,
stellt nicht etwa einen Verlust an Menschlichkeit dar. Denn in der gegenseitigen
Anerkennung und in der dauerhaften Kameradschaft liegt das fundamentale
Bedürfnis aller Menschen, nicht nur der Homosexuellen.[155]
Die theologische Prämisse der
Mann-Frau-Beziehung und der Ehe schließt die Akzeptanz von Menschen mit
homosexueller Orientierung durch Christen nicht aus, sondern betrachtet
lediglich abweichende Sexualpraktiken als Übel, argumentieren katholische wie
protestantische Theologen Philip S. Keane[156], Bernard A. Williams[157], Lisa S. Cahill[158], Charles Curran[159], Don Spencer Browning[160] und
andere. Henry Nouwen geht zudem davon aus, dass der Homosexuelle zu seinen
Gefühlen stehen müsse, denn nur so verlören sie ihre "verrückt
machende" Kraft.[161]
3. Anti-Selbstmitleidstherapie
Gerard J.M. van den Aardwegs
Anti-Selbstmitleidstherapie wurde stark durch Hugh Missildines Werk
„In dir lebt ein Kind“ beeinflusst. Laut Missildine lebt das Kind von einst in
der Schale des Erwachsenen als unabhängige Einheit, als quasi-autonome
Persönlichkeit, als selbstständiges Ich. Dieses "innere Kind von
früher" ist ein wucherndes, plärrendes, lärmendes Wesen, das trödelt,
mogelt und lügt, "um dem zu entkommen, was es nicht mag".[162] Die
sexuellen Erlebnisse des "inneren Kindes von einst" werden
unweigerlich durch die spezifische Haltung der Eltern geprägt. So lebt dann die
Sexualität des Kindes beim "inneren Kind" in der Schale des
Erwachsenen - im Sinne der Einstellungen seiner Eltern - weiter.
Übertriebene sexuelle Anregung
entwickelt sich entweder aus einem elterlichen Verbot sexueller Interessen und
Betätigungen oder aus der unterschwelligen sinnlichen Versuchung und
übermäßigen Reizung der sexuellen Gefühle des Kindes durch die Eltern.[163]
Aardweg ergänzt lediglich mit der These
des Autopsychodramas, d. h. vom sich verselbstständigt habenden
Selbstmitleid: Die Person, die einem Autopsychodrama unterworfen ist, denkt
und fühlt teilweise wie ein sich bemitleidendes Kind, d. h., wie es früher
einmal wirklich war, insofern diese Züge "zu seinem Drama gehören oder
damit verbunden sind".[164]
Von Sigmund Freud übernimmt Aardweg die
Begriffe "polymorph pervers" und "Pansexualität", deren
Phänomene sich im Übergangsstadium der menschlichen psychosexuellen Entwicklung
vom Kind zum Erwachsenen manifestieren. Doch gerade weil es sich hier nur um
eine Entwicklungsstufe handelt, wird diese Ausrichtung mit zunehmender psychischer
Reife auf spontane, natürliche Art zurückgehen.[165]
Die Homosexualität begreift Aardweg
generell als eine unreife, unterentwickelte Form der Geschlechtlichkeit.[166] Im
Homosexuellen steckt "das innere Kind von früher", das
"unausgereift" einen versteckten Groll über ungerechtfertigte
Erniedrigungen und ungerechte Behandlung in der Kindheit mit sich trägt. Das
"innere Kind" entwickelt einen Minderwertigkeitskomplex, wobei sein
Drama lautet: Ich bin nicht so männlich (bzw. weiblich) wie die andern. Zu
diesem Drama haben diverse Umweltfaktoren und Kindheitserlebnisse beigetragen.
Entscheidend jedoch ist, dass der homosexuelle Mann eine Phase durchlebte, in
der er sich einsam und minderwertig fühlte. Die daraus erwachsene, sich
verselbstständigt habende Klage über seine Minderwertigkeit als Mann hat eine
schmerzliche Sehnsucht nach der Liebe und Nähe anderer Männer geweckt.[167]
Bei Bisexuellen soll es
im Gehirn zwei sich gegenseitig "hemmende" Aktionszentren geben: das
Erwachsenen-Ich, aus dem die heterosexuellen Gefühle kommen, und das
"klagende Kind", das für die homosexuellen Neigung verantwortlich
ist. Doch beherrscht das "klagende Kind" im bisexuellen Menschen den
Bereich der sexuellen Gefühle nicht total, im Gegensatz zum "klagenden
Kind" des Homosexuellen.[168]
Zur Frage des Transvestitismus meint
Aardweg, dieser scheine parallel zu einer Identifikation mit der Passivität des
Weiblichen aufzutreten und sei deshalb meistens mit einem Minderwertigkeitskomplex
in Bezug auf die Männlichkeit verbunden.[169]
Die Neigung des Pädophilen erklärt
Aardweg aus der Sehnsucht nach intimer Gemeinschaft mit den idolisierten,
"unerreichbar überlegenen anderen Jungen" und nennt sie einen
"Aufschrei" nach Zugehörigkeit zu deren Gruppe und Annahme durch
sie. Hinter seiner Zuneigung verbergen sich Minderwertigkeitsgefühle und die
unreife Haltung des Bettelns um Liebe.[170] Das Autopsychodrama des Pädophilen
verrät, dass ein Teil seiner Persönlichkeit auf dem infantilen Niveau geblieben
ist. Seine "Einsamkeitsklage" soll die gravierendste sein. Bei ihm
kann das Gefühl des Abgelehntseins leicht Hass, verzweifelte Wut oder Rachsucht
hervorrufen, die wiederum zu kriminellen Akten führen können.[171].
Die lesbische Frau hegt
in sich ein "inneres Kind von früher", das sich entsprechend
bemitleidet und an der Minderwertigkeitsklage festhält: "Ich bin nicht so
weiblich (mädchenhaft) wie andere" oder: "Ich gehöre nicht in die
Welt der Frauen!" Aus dieser Perspektive soll sie den Körper und/oder die
Persönlichkeit anderer Mädchen oder Frauen verehren und davon sexuell angezogen
werden.[172]
Aardwegs Schlussfolgerung lautet,
dass Homosexualität nicht das Ergebnis einer Degeneration sei, vielmehr
eine funktionelle Störung in grundsätzlich normalen Individuen; doch nennt er
sie in anderem Zusammenhang eine "neurotische Kondition".[173]
Der erste Schritt der Anti-Selbstmitleids-Therapie besteht darin, dass der Klient sein
neurotisches Gefühl, das Unbehagen bzw. seine Klagen als Wirklichkeit erlebt.
Der Therapeut führt Beispiele an, "was bei einem verselbstständigten
Klagezwang abläuft" und wie das Selbstmitleid sich äußert, nämlich in
"somatischen Klagen": "Ach, ich Armer, ich bin nichts wert!“,
sowie in übersteigerter Kritik: "Mit ihm ist nichts los!" oder:
"Es ist alles nutzlos" - was wieder Stoff für das Selbstmitleid
hergibt: "Und ich Armer muss darunter leiden..."[174] So versucht die Therapie durch
psychoanalytische Deutung der Klageimpulse, diese "auszuhungern.“ Bei
Personen mit psychischem Infantilismus soll eine Gehirnstruktur das stetige
Bedürfnis nach Stimulation anmelden, wobei sie zur Befriedigung negative
Gefühle bzw. Klagegründe braucht, auch wenn der Neurotiker angenehme
Lebensumstände hat: "Es findet ein Suchen nach Dingen statt, über die sich
klagen lässt."[175]
Die psychoanalytische Deutung des
Autopsychodramas kann während des Interviews erfolgen. Der Therapeut wird
daran interessiert sein, eine Anamnese des Klienten zu erstellen, welche die
Umstände der Kindheit, das Auftreten der ersten homoerotischen Gefühle, die
Beziehung zu den Eltern, allfällige Onaniefantasien und Tagträume ebenso
festzuhalten sucht wie die Personentypen, zu denen er sich hingezogen fühlt.
Dies gestattet es, die Ursachen des Minderwertigkeitskomplexes zu ermitteln.
Danach kann der Therapeut beginnen, die Klagen zu entdramatisieren.[176]
Aardweg räumt ein, die Heilung einer
Neurose sei langwierig und dauere durchschnittlich mehrere Jahre. Darum
empfiehlt er wöchentliche (später eventuell vierzehntägige) Sitzungen von etwa
einer Stunde, die darauf zielen, die infantilen Klagen des Klienten zu zerstören.
Sobald das Selbstmitleid neutralisiert ist, wird die heterosexuelle Neigung
von selbst freigesetzt und nach den inhärenten (innewohnenden) Gesetzen
wachsen. In diesem Stadium der Therapie wird dem Homosexuellen empfohlen,
seinen Wünschen nach homosexuellen Kontakten zu widerstehen und die Beziehungen
zu den (früheren) Partnern abzubrechen.[177]
Ein wichtiger Faktor bei dieser Therapie ist, den Klienten zur
Selbstbeobachtung zu motivieren, d. h., er muss seine Gedanken, Gefühle
und Verhalten auf Äußerungen infantiler Klagen hin beobachten. Sie ist
eine Conditio sine qua non, d. h. eine unerlässliche
Voraussetzung für die "eintretende Heilung". Durch die
Selbstbeobachtung kann der Klient erkennen, wie sehr er sich wie ein Kind
bedauert, "über sich geweint, gewimmert und gejammert hat". Diese
Selbsterkenntnis erreicht ihren Höhepunkt paradoxerweise dann, "wenn die
Klagesucht verblasst ist".[178] Der Therapeut leitet den Klienten
an, störende Reaktionen oder Gedanken zu analysieren und zu verbalisieren,
wobei jeder seine individuellen Anhaltspunkte entdeckt, anhand derer er in
Gefühlen oder Gedanken die Klagesucht "am Werk" sehen kann. Bringt er
die eine Art von Klage zum Schweigen, wird sie prompt durch eine andere
ersetzt.[179]
Auch Aardweg hebt hervor, dass man einem
Homosexuellen nicht zur Umpolung verhelfen kann, wenn er nicht selbst den
Willen dafür aufbringen will: „Der Wille des Klienten muss es letztlich
sein, der zu bestimmten Impulsen 'nein’, und zu anderen 'ja' sagt. Unsere
Methoden und Techniken bestimmen lediglich, wie 'nein' oder 'ja' gesagt wird“.[180]
Doch kann der Wille gestärkt werden,
indem der Therapeut dem Klienten die Einsicht vermittelt, wie wenig
wünschenswert ein spezifischer Zustand ist, und ihm erklärt, wie sich eine
Neurose entwickelt und wie der Klient nach deren Neutralisierung zur Aussicht
auf größere innere Zufriedenheit gelangen kann, und zwar in Verbindung mit
einer natürlichen Abneigung gegen Negativismus und Egozentrik.[181]
Als nächsten Schritt im Heilungsprozess nennt Aardweg die Humortechniken, u. a. die
Hyperdramatisierung. Die Versuche des Klienten, seine Klageimpulse in Gegenwart
des Therapeuten zu verbalisieren, haben einen gewissen Grad von
therapeutischem Effekt, da der unreife Charakter vieler Gefühle und
Verhaltensweisen erkannt und benannt wird. Das eindeutige Zugeben jedoch "beinhaltet
... bereits den bewussten Versuch, sich von ihnen zu distanzieren".[182] Der
Klient wird motiviert, seine neurotischen Gefühle nicht nur verbal zu äußern,
sondern auch aufzuschreiben. So realisiert er, wie sehr sein Denken, Fühlen
und Verhalten von seiner infantilen Klagesucht mitbestimmt, wenn nicht gar
total dominiert ist. Mit Humortechniken lässt sich das erkannte Klagebedürfnis
neutralisieren. Ihre Anwendung, namentlich jene der Hyperdramatisierung, ist
nach der Selbstbeobachtung und -analyse das wichtigste Verfahren der
Anti-Selbstmitleidstherapie. Der Klient übt, sich über die von ihm beobachtete
und analysierte Klage des "neurotischen Kindes" lustig zu machen.
Der Anlass für die Klage wird vom "Erwachsenen" vor dem
"klagenden Kind" hyperbolisch wiederholt, wobei diese
Hyperdramatisierung an den Sinn für Komik appelliert. Der Neurotiker,
der über seine neurotischen Äußerungen bzw. über seinen Infantilismus zunächst
wie ein unreifes Ich zu lachen beginnt, ist auf dem Weg zur Genesung. In
solchen Momenten erlebt er einen Akt der Befreiung, indem er die Bindungen an
seine Egozentrik überwindet.[183] Aardweg erläutert, dass die
Nervensysteme, welche die Reize zum Lachen und Weinen weiterleiten, sich zum
Teil überschneiden. Psychologisch ist bekannt, dass diese beiden
Gefühlsäußerungen in spezifischen psychischen Zuständen sehr nahe
beieinanderliegen können, auch wenn eine dieser emotionalen Reaktionen die
andere ausschließt.[184]
Zur Hyperdramatisierung schlägt Aardweg
die hyperbolische Nachahmung des Jammerns und Heulens des "inneren
Kindes", seines wehleidigen Benehmens in Tonfall, Mimik und Gestik vor.
Das Ausschimpfen und symbolische Verprügeln des "klagenden Kindes"
soll ebenfalls heilsam wirken, indem der Klient beim Auftreten homoerotischer
Neigungen etwa sagt:
Krieche doch hin zu
diesem Idol, du Baby! Drücke dein glitschiges Gesicht gegen seines. Aus deinem
versabberten Heulmund rinnt der Speichel, während du mit deiner dicken Zunge
blökst und schreist: "Liebe mich! Liebe mich!"[185]
Mit der Überwindung seines unreifen
Selbstmitleids gewinnt die homosexuelle Person zunehmend Selbstvertrauen und
entdeckt, womöglich erstmals, eine innere Festigkeit; parallel dazu
wandelt sich die Einstellung gegenüber dem andern Geschlecht. Beim Mann wird
das angeborene Rollenverhalten des Eroberns, Dominierens etc., das so lange
Zeit nicht zum Zuge kam, weil das "innere Kind" es unterdrückte,
schließlich aktiv. Aus dem Gefühl, ein Mann zu sein, erwächst das charakteristisch
maskuline Verhalten gegenüber Frauen einschließlich des sexuellen Bereichs.
Die Veränderung der sexuellen Gefühle tritt mit Sicherheit ein, wenn ein
Klient sein "neurotisches Kind" durch die Therapie
"ausgehungert" hat.[186]
Aardweg betrachtet seine
Anti-Selbstmitleids-Therapie als erfolgreich abgeschlossen, wenn ein Klient
mindestens zwei Jahre normale heterosexuelle Interessen manifestiert hat und
wenn in dieser Zeitspanne keine homosexuellen Neigungen und Fantasien
aufgetreten sind.[187]
4. Therapie nach Masters und Johnson
Der Gynäkologe William Howell Masters
wirkte seit 1947 an der Washington-Unoversität in St. Louis als Pionier im
Bereich der Sexualphysiologie. Er erforschte erstmals die Mechanismen der
sexuellen Erregung in wissenschaftlichen Laboruntersuchungen. Virginia Johnson
hat sich durch die Untersuchung von Sexualfunktionen und -störungen und
zahlreiche Publikationen einen Namen gemacht. Sie leitet das Masters und
Johnsoninstitut in St. Louis.
Nach Masters und Johnson hängt die
sexuelle Orientierung einzig von der Geschlechtsrolle ab, die eine Person als
Kind erlernt hat. Masters und Johnson betonen: „Für alle, die in
medizinischen und psychologischen Berufen mit den Problemen der sexuellen
Präferenz zu tun haben, ist es unerlässlich, sich darüber klar zu sein, dass
der homosexuelle Mann oder die Frau durch genetische Determination zunächst ein
Mann oder eine Frau ist und erst durch erlernte Präferenz homosexuell ist. Ein
heterosexueller Mann oder eine Frau ist im gleichen Wesenszug zuerst ein Mann
oder eine Frau durch genetische Determination, und dann heterosexuell
determiniert durch erworbene Präferenz.“[188]
Diese Theorie des "radikalen
Behaviorismus", die Masters und Johnson verfechten, hat ihre Impulse in
den Forschungsarbeiten von John Money und Anke A.
Ehrhardt. Sie berichten u. a. von einem Knaben, der bei der
Beschneidung durch einen Kunstfehler (eine Verbrennung) seinen Penis einbüßte
und darauf operativ in ein Mädchen "verwandelt" wurde. Man erzog das
Kind als Mädchen, und seine Reaktionen und Einstellungen wurden total feminin,
ebenso sein Aussehen. So folgern die Autoren: Familie und Gesellschaft zwingen
dem Kind ihre konditionierten und konditionierenden Ideen auf und beeinflussen
oder verformen die Art und Weise, wie es sein Selbstbild wahrnimmt.[189] Dieselben
Forscher haben auch Daten über Hermaphroditen erhoben und festgestellt, dass
deren sexuelle Orientierung mit der Geschlechtsrolle übereinstimmte, in der
sie erzogen wurden, und nicht mit ihrem genetischen Geschlecht.[190]
Allerdings schließen Masters und Johnson
nicht aus, dass ein genetischer Einfluss die potenzielle Tendenz eines Mannes
oder einer Frau, eher auf homo- als auf heterosexuelle Stimulation zu
reagieren, verstärken könnte; doch gebe es zurzeit keinen überzeugenden Beweis,
der diese Behauptung stütze.[191]
Das Masters-Johnson-Institut in St.
Louis nahm 1969 bis 1977 insgesamt 151 homosexuelle Männer und Frauen zur
Behandlung auf. Man teilte sie gemäß ihren Problemen bzw. Störungen in zwei
Kategorien ein: einerseits Personen mit Impotenz, Orgasmusunfähigkeit,
sexueller Aversion, andererseits Personen, die zur Heterosexualität gelangen
oder zurückgelangen wollten. Das Institut verwendet dafür die Termini Konversion (Therapieziel
von Personen mit wenig oder keinen heterosexuellen Erfahrungen; Kinseyskala 5
oder 6) und Reversion (bei Personen mit den Kinseywerten
2-4). Die Hilfesuchenden hatten offen oder heimlich als Homosexuelle gelebt,
wobei manche der letzteren verheiratet waren und als heterosexuell gegolten
hatten.[192] Zur
Aufnahme in die Behandlungstherapie galten zwei Bedingungen: Die Patienten
mussten "ein hohes Maß an Motivation" für eine Konversion bzw.
Reversion zur Heterosexualität bekunden, und sie mussten einen
verständnisvollen andersgeschlechtlichen Partner mit in die Therapie bringen,
"der eine wichtige Hilfe zur psychosexuellen Unterstützung während der
Übergangsphase bei der sexuellen Präferenz darstellen konnte".[193]
Am ersten Therapietag erfolgte jeweils
die physische Untersuchung der hilfesuchenden homosexuellen Person wie der
andersgeschlechtlichen festen oder gelegentlichen Partnerperson, am Morgen des
zweiten Tags wurden allgemeine Labor- und grundlegende metabolische
Untersuchungen vorgenommen. So versuchte das Ärzteteam, negative physische und
metabolische Faktoren zu erkennen, die bei Klagen über Sexualstörungen als
mögliche Auslöser infrage kommen. Ein Therapeutenteam interviewte die
Patienten während der ersten zwei Tage, studierte die Verhaltensweise und
sammelte Hintergrundinformationen. Dann besprach das behandelte Paar,
d. h. die "unzufriedene" homosexuelle Person und ihr
andersgeschlechtlicher Partner, das Material aus der Erhebung der
"psychosexuellen und sozialen Vorgeschichten" sowie die Ergebnisse
der körperlichen Untersuchung.[194]
Es folgte eine zweiwöchige
Intensivbehandlung mit täglicher Therapie. Ziel war, den homosexuellen Klienten
binnen dieser Zeit mithilfe des andersgeschlechtlichen Partners umzuschulen.[195] Zunächst
wurden die Leistungsängste abgebaut, die auftauchen,
"wenn sexuell enttäuschte Menschen versuchen, ihre Leistungsprobleme vor
dem Partner oder der Partnerin zu verbergen".[196] Ruhig kontrolliert und positiv
konfrontierte ein Therapeut den Patienten mit dessen Ängsten und leitete ihn
an, sich mit Anatomie, Physiologie der Sexualität und den psychosexuellen
Bedürfnissen der Partnerperson vertraut zu machen.[197]
Eine ganze Reihe psychosozialer
Einflüsse wurden nach und nach neutralisiert. Schon parallel dazu begann für
den Klienten die Auseinandersetzung mit der sinnlichen Wahrnehmung der
Sexualität der Partnerperson. Die Wiedererlangung sinnlichen Genusses
wurde erreicht, indem der Klient seinen Körper zum Vergnügen erlebte und die
Partnerperson dem Klienten erlaubte, zu seinem Vergnügen mit ihrem Körper
umzugehen, wobei die Genitalien zunächst "verbotene Zonen" und vom
abwechselnden gegenseitigen Streicheln ausgeschlossen waren; dieses kam dazu,
sobald Vertrauen und Freude an sinnlicher Konzentration erreicht waren.[198]
Laufend wurden daneben die
Leistungsängste analysiert, Befürchtungen erklärt und Anatomie sowie sexuelle
Reaktionen der Partnerperson wiederholt diskutiert. Traten beim Klienten
im sensate focus (Empfindungszentrum) nur noch
angenehme Empfindungen auf, setzte das Paar das Streicheln fort; die
homosexuelle Person konnte den Ausdruck sexueller Erregung bei der
Partnerperson weiter beobachten und gab die Zuschauerrolle auf, wenn eigene
sexuelle Erregung ohne Leistungsdruck erlebt wurde: Dann näherte der Klient
sich der Partnerperson mit der Absicht zum sexuellen Akt.[199]
Masters und Johnson vermerken, dass
jeder therapeutische Erfolg davon abhing, wie weit das Ausmaß der gemeinsamen
heterosexuellen Beziehung entwickelt werden konnte. Wenn z. B. ein
bisexueller Mann wahrnahm, was ihm die Beziehung zu seiner Frau bedeutete,
"neutralisierte er seine homosexuelle Neigung von sich aus".[200] Darum
hänge die Möglichkeit, heterosexuell zu werden, nicht nur vom Grad der
subjektiven Motivation zur "Konversion" bzw. "Reversion"
ab, "sondern von der Aussicht auf Belohnung für die erbrachte
Leistung".[201]
Meine Kritik richtet sich gegen die
Annahme von Masters und Johnson, das Glück der Sexualität bestehe letzten Endes
im Orgasmus, gegenüber dem sinnvollen Einswerden zweier Partner, deren
Sexualakt sie einen "Verschmelzungsprozess" des einenden und formenden
Prinzips der Liebe erleben lasse.[202] Sie schreiben: Der Mensch besitzt
„die Fähigkeit zum Erreichen des Orgasmus. Diese Möglichkeiten bleiben bei
heterosexueller wie bei homosexueller Interaktion in ihren Funktionen gleich.
Wenn ein Mann oder eine Frau einen Orgasmus erreicht, reagiert er oder sie auf
sexuelle Stimuli mit den gleichen grundlegenden physiologischen Reaktionsmustern,
unabhängig davon, ob die Stimulationstechnik Masturbation, Partnermanipulation,
Fellatio, Cunnilingus, vaginaler oder rektaler Koitus heißt - und auch
unabhängig davon, ob der sexuelle Partner vom gleichen oder vom anderen
Geschlecht ist.“[203] Dieser
Annahme kann ich persönlich nicht folgen. Den eine sinnvolle Sexualbeziehung
zwischen den Partnern ist weit mehr als nur der sexuelle Höhepunkt - in ihr
wird nämlich die recreatio und regeneratio (Erholung
und Erneuerung) der leiblichen, seelischen und geistigen Lebenskräfte erfahren.
Bernhard Häring formuliert es so: "Gesunder Ausdruck der
Geschlechtlichkeit im Bund der Liebe ist Spiel und Fest, aber die Quelle der
Festesfreude und des Spieles ist Treue und fruchtbare Liebe."[204] Gerade
diesen Sinngehalt lässt das Therapieziel von Masters und Johnson vermissen.
· Abschließende Gedanken
Dass homosexuelle Personen der
"Umpolung", d. h. der Hinführung zur Norm des heterosexuellen
Verhaltens, bedürfen, ist in der psychotherapeutischen Literatur zwar nicht
unumstritten, aber inzwischen doch prominent belegt. So argumentiert etwa
Helmut Schelsky, dass es zur Zerstörung der Gesellschaft kommen kann, wenn
jeder nach dem Lustprinzip lebte.[205]
Probleme mit der praktischen Therapie
für Homosexuelle bestehen aufgrund des krassen Dissenses bezüglich der
Ätiologie (Entstehungstheorie) der Homosexualität, welcher unter den
Fachleuten herrscht. Solange divergierende (abweichende) verursachende Faktoren
angenommen werden, muss es auch verschiedene Therapien geben. Die angebotenen
Behandlungsmethoden sind jedoch, wie wir sahen, zum Teil gar nicht so abwegig
und zeitigen Erfolge - unter der Bedingung freilich, dass der Hilfesuchende
kooperativ ist. Die Reorientierung homosexueller Neigungen in
heterosexuelle hängt eindeutig vom Willen der hilfesuchenden
Person zur „Umpolung“ ab. Ein Therapeut wie ein Seelsorger wird niemals das
Ziel der „Umpolung“ erreichen, wenn der Homosexuelle den Willen zur Änderung
seines Verhaltens nicht aufbringt. Die von Masters-Johnson, Socarides, Bieber,
Aardweg und andern angewandten Therapiemethoden haben dies zur Genüge belegt.
Martin Siems hat wohl recht mit seinem Appell an den Homosexuellen, sich selbst
zu akzeptieren. Die Selbstakzeptanz emanzipiert die Betroffenen von Meinung und
Urteil anderer Leute und hilft ihnen entscheiden, ob sie bei der homosexuellen
Praxis bleiben wollen. Siems zieht allerdings keine solche Wahl in Betracht,
sondern plädiert für Selbstakzeptanz im Sinne homosexueller Selbstbestätigung.[206]
Die Diskussion über die Gleichstellung
der Homosexualität parallel zur Heterosexualität hat ihren Niederschlag zuerst
in der psychologischen Literatur gefunden. Gerhard Vinnai schrieb 1977:
"Wer beim
Konstatieren der offensichtlichen Differenzen im Sexualverhalten von
Homosexuellen und Heterosexuellen verharrt, bleibt an der Oberfläche kleben,
die durchstoßen werden muss, wenn die entscheidenden Strukturzusammenhänge
sichtbar werden sollen. Dass Homosexualität und Heterosexualität einander "abstrakt"
gegenübergestellt werden, ist notwendig falsches Bewusstsein, das einer
spezifischen gesellschaftlichen Verfasstheit entspricht."[207]
Fritz Morgenthaler ist auch der Meinung,
dass zwischen Homosexualität und Heterosexualität nicht unterschieden werden
darf. "Es gibt im Grunde weder Hetero- noch Homo- noch Bisexualität“,
schreibt er. „Es gibt nur Sexualität, die entlang sehr variationsreicher
Entwicklungslinien schließlich ihre, für jeden einzelnen spezifische
Ausdrucksform findet."[208]
Angesichts ähnlichen empirischen
Erhebungen seitens international bekannten Psychoanalytiker fällt es der
Theologie immer schwieriger, die homosexuelle Liebe als
"widernatürlich" im Sinne des Apostel Paulus zu bezeichnen. Hans
Georg Wiedemann argumentiert demnach auch, dass Paulus "bei homosexuellen
Beziehungen nicht an Liebe und Partnerschaft denkt. Tatsächlich ist sie für ihn
eine willkürliche Praxis, die man jederzeit auch aufgeben kann. Wir wissen aber
heute, dass das nicht so ist und Homosexualität ebenso mit Zuneigung und Liebe
verbunden sein kann wie Heterosexualität."[209] Der konventionellen Interpretation
des paulinischen Textes von Römer 1,26 zufolge, soll Paulus homoerotische
Beziehungen als den göttlichen sexualethischen Normen zuwiderlaufende
Handlungen betrachtet haben, die nach Eberhard Nestle und Georg Foot Moore
"Gott ein Gräuel"[210] sind, weil - so Dale Moody -
seiner Schöpfungsordnung entgegengesetzt, darum widernatürlich.[211] Helmut
Thielicke geht mit Wiedemann auch nicht konform und meint, es bestünden absolut
keine Zweifeln, dass Paulus homosexuelles Verhalten ablehnt und es mit anderen
Lastern gleichstellt. Sonst würde er sich mit dieser Problematik nicht so
eingehend im Römerbrief 1,26f befasst haben.[212]
Bibliographie und Fußnotenachweise sehe: https://sites.google.com/site/hermannhartfeld/tagesseminar-zum-thema-homosexualitaet-und-kirche
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