Abenteuer unterwegs


Irina Nikitina geb. Sokolowa war eine gute Freundin von Olga und Andrej Gribenko. Sie war mit ihrem Sascha alias Alexander im Urlaub in der Krim. Eines Tages bekam sie von einem Freund der Familie, der im KGB tätig war, einen Anruf: „Irina, ich wollte dich im Urlaub nicht stören. Aber in der Familie Gribenko ist etwas vorgefallen, was dich interessieren müsste.“ „Na, so was. Was denn?“, fragte sie neugierig. „Die kleine Oxana Gribenko hat einem KGB-Beamten das beste Ding abgebissen.“ Irina lachte schallend. „Übertreib bitte nicht. Ein fünfjähriges Kind kann so etwas nicht schaffen.“ „Wie dem auch sei, aber das Opfer liegt auf dem Operationstisch. Das wird eine Schlampe wie ihre Mutter.“ Irina erwiderte: „Ich mag keine abschätzigen Aussagen über die Kinder. Hör auf damit. Was macht Oxana gerade?“ „Keine Ahnung. Ihr Vater wird jeden Augenblick aus Indien erwartet.“ „Gut. Wie geht es Olga?“ Er lachte: „Sie hat gegen das KGB eine Anklage beim sowjetischen Bundesgeneralstaatsanwalt eingereicht. Aber sie wird nichts erreichen.“ „Bist Du sicher?“, fragte Irina. „Zweifellos!“ „Dann warten wir ab, bis Andrej zu Hause ist.“ Sie bedankte sich beim Freund für die Info und ging zum Strand, wo sich Sascha mit den drei Söhnen sonnte. „Kinder, es ist Zeit, dass ihr eine Stunde schwimmen geht. Das Mittagsessen war zu üppig.“ Ohne Widerrede liefen sie ins Meer und waren bald außer Sichtweite. „Du bist so nachdenklich und besorgt, Irina.“, fing Sascha an. „Ist in Kiew etwas Unangenehmes vorgefallen? Ist unser Pastor Velitschko erkrankt?“ Mehr fiel ihm auf Anhieb nicht auf, zu fragen. Er umarmte sie. Sie schwieg. Auch das war für ihn nichts Ungewöhnliches. Wenn sie etwas auf dem Herzen hatte, brauchte sie Zeit, es zuerst allein zu verarbeiten. Sie saßen auf dem Sand und schauten die Wellen an. Dann stieg er auf und begann, ihr den Nacken zu massieren. Sie lächelte: „O, das tut gut! Danke Sascha!“ Nach einer Weile öffnete sie sich. „Setz dich, mein Lieber! Ich muss dir einiges erzählen.“ Er ließ sich neben ihr nieder und war ganz Ohr. „Du kennst doch Familie Gribenko, oder?“ „Sicher doch. Hat er sich entschieden, sich im Westen abzusetzen und dort zu bleiben?“, fragte er neugierig. „Nein, Sascha, das wird er nie tun. Er liebt seine Heimat, ist gern sowjetischer Spion, aber sich absetzen? Das glaube ich nicht. Es sei denn, es würde ihm zu Hause eine Gefängnisstrafe für seine Frauengeschichten „blühen“. Aber Staatsverrat würde er nie begehen. Die Ukraine ist sein Zuhause. Sein Sohn studiert Jura in der Schweiz und spricht fließend acht Sprachen. Er könnte in der Schweiz promovieren und die Professorenkarriere beginnen. Aber das wäre doch kein Verrat, oder? Ja gut, er ist immer unglücklich darüber gewesen, dass sich die riesige Sowjetunion mit ihren natürlichen Ressourcen nicht so richtig aufrappeln kann und das reichste Imperium der Welt wird. Aber Verrat? Nicht Andrej, mein Liebster.“ Sie küsste ihn und legte seinen Kopf auf ihren Schoß. „Man hat seitens seiner Abteilung einen Blödsinn gemacht. Michail bzw. Mischa, sein Freund, entführte auf Geheiß des alten Knackers General Severin Andrejs und Olgas Tochter Oxana. Man hielt sie tagelang in einer KGB-Wohnung gefangen. Was Michail sich dabei dachte, weiß ich nicht, aber er soll Oxana sein Ding in den Hals gesteckt haben. Sie erstickte beinahe und biss mit aller Wucht zu. Ob sie nun Michails bestes Stück ganz abgebissen hat oder nur anbiss, weiß ich auch nicht. Er liegt jedenfalls in diesen Augenblicken auf dem Operationstisch. Oxana ist entkommen und jetzt zu Hause bei der Mutter. Aber die psychischen Folgen sind leider nicht abzusehen.“ Irina merkte nicht, dass es Sascha vor Lachen schüttelte. „Das hat das Kind gut gemacht! Halleluja!“ Er sprang auf, nahm Irina in die Arme, hob sie und drehte paar Runden mit ihr im Sand, dann sagte er: „Komm, lass uns die Jungs holen. Wir brechen den Urlaub ab und fahren nach Kiew.“ Sie gehorchte. Die Jungs stiegen gerade aus dem Wasser. „Kinder! Es ist etwas vorgefallen und wir müssen nach Hause. Ihr dürft aber mit der Familie meiner Schwester bleiben, wenn ihr wollt.“ Der Vorschlag war verlockend. Sie mochten es, ihre Kusinen zu necken, weil diese sich häufig versteckten und nackt badeten. Sie waren in der Pubertät und machten viel  Blödsinn.  Ihr Pastor wusste davon nichts, sonst hätte er den Eltern schon längst die Leviten gelesen. „Nein!“, reagierten sie in unisono: „Wir kommen mit.“ Die besorgten Gesichter der Eltern versprachen nichts Gutes. Es war nicht allzu viel zu packen. Der Vater ist bereits bei der Ankunft für die Hotelkosten aufgekommen. Ein Küsschen hier, ein Küsschen da, paar Händedrücke und Umarmungen und sie waren unterwegs. Irinas Vater Sokolow war nicht mehr da. Oft hat man über ihn geredet und jedes Mal kamen Irina die Tränen: „Er war ein guter Vater!“, betonte sie jeweils. „Weißt Du, Sascha, wir müssen es den Kindern erzählen, was Oxana zugestoßen ist“. Er zögerte eine Weile, dann überwand er sich und richtete sich an die Kinder: „Jungs, was wir euch jetzt erzählen werden, darf nicht weitergesagt werden.“ Der älteste Oleg zeigte sich verletzt: „Haben wir, Vater, jemals etwas aus unserer Familie hinausgetragen? Es blieb doch immer unter uns. Wir sind doch eine Familie, oder?“ Igor und Alex stimmten zu. Schon als ganz kleine Kinder brachten die Eltern ihren Söhnen bei, nichts, aber auch gar nichts aus dem Familienleben ihren Freunden zu erzählen, obwohl ihre Wohnung stets eine Art Kindergarten war. Die Jungs hatten viele Freunde. Diese wurden ganz lieb von den Eltern willkommen geheißen und stets zum Essen eingeladen.
Nach vier Stunden Fahrt, sagte Mutter: „Halt! Alle aussteigen, und zwar schnell!“ Die Kinder waren im Halbschlaf. „Was ist denn los?“, fragte Alexander. „Schnell die Pässe aus dem Fach und das Geld. Alles andere kann drin bleiben. Ich erzähle es dir in wenigen Minuten“. In wenigen Augenblicken war das erledigt. „Werft euch alle in den Graben! Ohren mit Handflächen zudrücken!“, schrie die Mutter. Der Befehl war unmissverständlich, aber für die Männer unerklärlich, bis, ja bis ein Knall folgte und eine furchtbare Explosion. Als alles vorbei war, hob Oleg seinen Kopf. „Wo ist unser Wagen?“, schrie er los. Alle glotzten verwirrt auf das Chaussee: ein Riesenkrater, aber weit und breit nichts zu sehen. „Gott hat es gegeben, Gott hat es genommen. Der Name des Herrn sei gepriesen!“, sagte Oleg halblaut. Alle hörten es und sagten: „Amen!“ Der jüngere Alex fügte hinzu: „Seid froh, dass das beste Stück uns erhalten geblieben ist!“ Ein schallendes Lachen folgte den Worten. „Ja“, sagte die Mutter, „Wir müssen Hermann Hartfeld bitten, uns einen neuen Van zu besorgen.“ „Einen Van? Wir hatten doch nur seine geliebte Marke Opel. Jetzt soll es ein Van sein?“, reagierte der Vater. „Wir müssen die Automarke wechseln. Aber, lasst uns einen Kreis bilden und gemeinsam Gott für die Bewahrung danken“. Sie stellten sich in einen Kreis und der jüngste Alex schloss die Gebetsgemeinschaft ab. Dann erzählte Irina, was vorgefallen war. „Als wir uns ins Auto setzten, war mir bei der ganzen Sache gar nicht wohl. An unserem  Wagon wurde herum gebastelt, als wir noch am Badeort waren. Das beobachtete ich nachts aus dem Fenster. Ich dachte mir, wenn sie ihn öffnen, geht die Sirene hoch. Dazu kommt noch, dass der Parkplatz ja bewacht wird. Bevor wir losfuhren guckte ich mir den Wagen von unten und außen gründlich an. Ich glaubte, ihn genügend inspiziert zu haben. Beim Fahren fielen mir kaum bemerkbare Geräusche auf. Es hörte sich wie das Ticken einer Uhr an. Und doch kamen Zweifel auf: Ich muss mich irren. Wer soll uns etwas Böses antun wollen? Erst als ich das Innenfach öffnete, ein Schluck Wasser zu trinken, sah ich hinter der Flasche eine kaum bemerkbare, kleinste mir je begegnete Uhreinrichtung. Ich guckte sie mir ganz genau an und sah, dass die Uhr lief. Es blieb nur eine Minute und sie wäre abgelaufen und wir nicht mehr da.“ Während Irina erzählte und die Kinder mit offenen „Mäulern“ zuhörten, beobachtete Sascha den unweit von der Chaussee liegenden Wald. Kaum bemerkbare Bewegungen der Sträucher hätten auch von Hasen oder vom Wind verursacht worden sein können.  Aber dann stand jemand auf und richtete ein im Dunkel unerkennbares Modell von Gewehr in ihre Richtung. „Irina, Kinder, in den Graben! Schnell! Hinfallen! Und liegen bleiben!“ Jetzt schrie Vater, panikartig und verängstigt. Kugeln hagelten über ihre Köpfe. Sie konnten niemanden treffen. Der Vater flüsterte Irina ins Ohr: „Wir kriechen rückwärts zu den Lichtern. Aber, bitte, langsam.“ Irina flüsterte zurück: „Warum kamen sie nicht auf uns zu und haben uns nicht einfach hingerichtet?“ Sie fügte hinzu: „Ach ja, sie sind doch nicht verrückt. Sie wissen ganz genau, dass ich im BH oder sonst wo in der Wäsche immer eine versteckte Kamera trage, die bei jeder Dunkelheit die besten Aufnahmen macht. Ein Hochzeitsgeschenk meines Vaters.“ Sascha schmunzelte und flüsterte: „Mein Gott! Auch das noch. Ich darf dich nachts nicht einmal berühren, dann bin ich schon für ewig fixiert.“ „Alexander, quatsch doch keinen Unsinn. Du hast immer davon gewusst und dennoch drei Söhne gezeugt. Ich denke, dass irgendjemand von Michaels Protegé nicht möchte, dass wir Kiew erreichen. Wir müssen die Männer überlisten. Sascha, ich wende meine Tricks an und hol mir die Kerle. Und du passe bitte auf unsere Jungs auf!“ Sie verschwand in der Dunkelheit. „Wo ist, Mama?“, fragte der jüngste. Er zitterte an Leib und Seele. Sascha nahm ihn in die Arme. Einer der Jungs, es muss Igor gewesen sein, legte seine Hand um seine Schulter, Oleg sagte nur: „Glaub doch, Alex, alles wird gut.“ „Werden wir unser ganzes Leben im Krieg verbringen?“, flüsterte Alex fragend. „Wer weiß das schon, mein Sohn. Das Leben ist Krieg und Frieden, wie bei Leo Tolstoi beschrieben, aber lasst uns lieber in der Stille für Mama beten.“ Irina bedeutete der Familie alles. Sie war eine engagierte Professorin, gute Ehefrau und Mutter. Sascha unterrichtete am selben Institut, nur an einer anderen Fakultät. Das wollten beide so und hatten dafür ihre Gründe. Immer fuhren sie zusammen hin, und auf dem Rückweg noch einkaufen, dann nach Hause. Die Studenten mochten die beiden sehr, weil sie wie frisch Verliebte vor dem Unterricht einander viel Erfolg wünschten und nach dem Unterricht einander wieder in die Arme nahmen, sich küssten und zum Auto gingen. Alle bewunderten das Paar. Sie wussten aber nichts von ihrer Vergangenheit. Das Buch „Irina“ hatte sie noch nicht erreicht.
Die Kinder lagen im Graben, schauten zum Himmel und jeder dachte etwas vor sich hin. Es schien eine Ewigkeit zu vergehen, aber von der Mutter noch keine Spur. Und endlich hörten sie plötzlich laut:  „Sascha! Oleg, Igor, Alex! Wo seid ihr? Kommt herüber in den Wald! Ich mache gerade ein Feuerchen. Lasst uns wärmen, etwas essen,  schlafen und weiter fahren!“ Alle schossen in die Höhe und liefen der Stimme zu, wo bereits Licht zu sehen war. Sascha dachte unterwegs ziemlich ironisch: „Etwas essen? Was denn? Einen Menschenbraten von den Feinden?“ Als sie im Wald ankamen, sahen sie vier kräftige Männer an Händen und Füßen gefesselt und Stücke von Mutters Strumpfhosen in ihrem Mund. Alex reagierte: „Pfui! Das soll mir nie passieren!“ Neben den Männern lagen Kalaschnikows und ein paar Granaten. Das „Feuerchen“ war zehn Meter von ihnen entfernt. „Hast Du, Mutter, mit ihrem besten Ding das Feuer entzündet?“, fragte Oleg unverblümt. „Du Klugscheißer, an die Arbeit. Wir brauchen noch ein paar Sträucher für das Feuer, um den Hasen zu Ende zu grillen. Alle an die Arbeit, aber verirrt euch im Wald nicht!“ Vergnügt saß sie am Feuer und war ganz Mutter. Die Kinder mussten doch genug bekommen. Alle machten sich an die Arbeit. Nun saßen sie um das Feuer und Alex fragte: „Wie kommen wir nach Kiew?“ Mutter schmunzelte: „Seht ihr da die zwei Wagen?“ Alle starrten in die jeweilige Richtung. Nichts. Sie sprang auf, ging zum Busch und schob ihn beiseite. Es war kein Busch, es waren gestellte Sträucher um die Wagen herum. „Und ihr seid so tief in den Wald gelaufen, nachts Sträucher zu sammeln. Wozu das denn?“ Die Kinder schüttelten nur den Kopf: „Schon wieder an der Nase herumgeführt. Eine zusätzliche Lektion gelernt.“, meinte Oleg nachdenklich. Sie antwortete: „Kinder führe ich nicht an der Nase herum, ich nehme sie liebevoll auf die Arme.“  Sascha fragte: „Wie hast Du das nur geschafft?“ Sie lächelte:  „Die Halunken sind zu unerfahren: Einer hat gepinkelt, dem habe ich schnell unbemerkt das Maul gestopft und gefesselt. Der zweite musste mal ‚groß‘, den ließ ich halb nackt mit heruntergelassenen Hosen sitzen und fesselte ihn. Ich werde ihm doch nicht den Hintern noch putzen. Das kann General Severin tun. Der dritte beobachtete eure Bewegungen durch das Militärfernrohr und suchte mich. Auf den musste ich mich echt setzen und den Kopf mit dem Fernrohr, das auf mich gerichtet war, k.o. schlagen. Erstmals war er sprachlos. Wenige Sekunden später war auch er gefesselt. Der vierte war der schwierigste Fall. Er hat etwas mit Kalaschnikows ‚herumgespielt‘. Ich musste, o Gott vergib mir, einen nicht sehr großen Klotz um den Schädel hauen. Er fiel bewusstlos zur Erde und ich fesselte ihn. Wir setzen die vier in ein Auto, den fährst Du, Sascha; ich fahre mit den Kindern das andere gemütlichere Auto.“ Die Kinder schauten verliebt auf die Eltern, standen auf und küssten sie. „Aber der Hase reicht doch nicht für acht Männer und eine Frau?“, sagte der Kleinste. „Keine Bange, mein Kind. Die Halunken haben viel  frisches Brot im Kofferraum beider Wagen und Wurst hinterlassen. Den Hasen habe ich einfach beim vorbeilaufen erwischt, um frisches Fleisch zu kosten.“ Oleg ging zu den Männern und fragte: „Seid ihr hungrig?“ „Ja schon. Wir essen aber nur, wenn Du uns losbindest.“, antwortete der eine. „Das habe ich leider nicht zu entscheiden. Wenn Vater es erlaubt, dann ja.“ Er ging zu Sascha: „Darf ich sie losbinden? Sie haben doch Hunger!“ „Oleg, es ist Nacht. Wir können nicht mit ihren Granaten sitzen und warten, bis sie ihre Mägen vollgeschlagen haben. So wie ich diese Art von Menschen kenne, haben sie im Unterschied zu uns ihre Wurst gegessen.“ „Gut, Papa, aber dann esse ich auch von ihrem Brot und von ihrer Wurst nichts.“ „Es gehört doch uns, mein Sohn. Mutter wunderte sich, dass unser Kühlschank leer gefegt war und nun entdecken wir die Ware in ihren Kofferräumen.“ „Ach so. Ma“, schrie er, „ich will nur einen Hasenschenkel.“ Sie aßen genüsslich und freuten sich, dass alles so unglimpflich verlaufen war.  „Jetzt aber schlafen, Kinder!“, befahl Alexander. Er drückte Irina an sich und flüsterte ihr zu: „Ich dachte, ich sehe dich nie wieder!“ „Sascha, vertraue Gott und alles wird gut! Schlaf jetzt.“ Alex reagierte auf das Gehörte: „In einem amerikanischen Film sagte ein Schauspieler: ‚Vertraue auf Gott und auf deine Fäuste‘.“ „Auf die Fäuste ist kein Verlass, mein Sohn. Aber jetzt ist es an der Zeit, bis zum Morgengrauen etwas Schlaf zu bekommen.“, reagierte Irina.
Sie wachten von einem heftigen Knall auf, weil einer der „Halunken“ sich zu den Granaten kullerte, die Zündschnur mit den Zähnen zog und sich in die Luft jagte. Irina hatte sie vorsorglich etwa fünfzig Meter entfernt „gelagert“. Die Granaten sollten zum Beweis dem Richter vorgelegt werden. Sie wollte sie noch in den Kofferraum legen und vergaß davon, sie war zu übermüdet. Die anderen drei schrien: „Wir sind verletzt! Bindet uns los!“ Irina inspizierte sie und sagte: „Ihr habt nicht einmal eine kleine Verletzung davon getragen. Euer Freund hat die Granate unter sich gelegt, bevor sie explodierte. Seine Handfesseln sind halb gelöst. Ich wundere mich, dass er uns alle nicht umgebracht hat.“ Irina und Sascha fanden im Auto Plastiksäcke, steckten die Reste da rein und brachten sie zum Kofferraum. „Hat er Familie?“, fragte sie die übrigen Männer. „Nein. Er ist schwul. Seine Mutter hat sich vergiftet, sein Vater kam betrunken unter ein Auto.“ Irina schüttelte nur den Kopf und gab das Kommando: „Ihr drei, ins Auto zu eurem Freund. Mein Man wird sie fahren. Vergesst nicht: Alles, was hier passierte, ist auf meiner Kamera fixiert. Sollte unterwegs mit meinem Mann etwas passieren, seid ihr wie tot.“ Sie ging mit den Kindern zum anderen Wagen. „Ma, erlaube mir, mit Vater zu fahren. Ich habe so ein blödes Gefühl.“ „Gut, Sohn. Nicht vergessen, die Männer anzuschnallen. Du schnall dich auch an“. Die Motoren arbeiteten im Einklang. Bald waren sie auf der Chaussee, aber auf Umwegen durch den Wald. 
Endlich erreichten sie Kiew. Irina hielt ihr Auto noch vor Kiew auf einem kleinen Parkplatz an. Sie stieg aus und die Kinder mit ihr. Sascha hielt hinter ihrem Wagen. „Binde sie los. Ja, meine Strumpfhose in ihren Mäulern kannst Du wegwerfen. Ich hatte sie zwei Tage nicht gewechselt, jetzt werden sie zwei Tage an sie denken und kotzen. Gut so. Die Kalaschnikows gib ihnen zurück. Sie sind entladen. Die Magazine mit Kugeln finden sie im Wald an den Bäumen hängen. Die Granaten sind in ihren Taschen doppelt eingenäht.“ „Wann hast Du das geschafft?“, fragte Sascha verblüfft. „Ach ja, so meine Kunst. Ihr ward mit den Feuerresten beschäftigt und ich mit den Granaten. Eine gute Bescherung für Severin.“ Sie rief die drei Männer zu sich: „So Leute, ich hatte große Versuchung, euch zu Eunuchen zu machen. Aber an allem ist der alte Severin schuld. Sagt ihm, wenn er nochmals mit meiner Freundin Olga so tut, als wenn sie seine Geliebte wäre, findet er sein gutes Ding auf dem Londoner Tower. Ich muss nämlich in zwei Wochen dahin. Grüßt eure Auftragsgeber von mir. Jetzt ins Auto und los! Vergesst nicht, zu tanken.“ Sie verschwanden so schnell, dass Alex sagte: „Sie hatten ja im Hintern eine Rakete!“ „Irina, spielst Du nicht mit dem Feuer?“, fragte Sacha. „Das habe ich doch immer getan. Das müsstest Du doch wissen. Ich bin aber eine dir sehr untertänige Frau, nicht wahr, mein lieber Mann? Ein Taxi!“ Sie hielt das Taxi an. In 20 Minuten telefonierte Irina schon mit Olga. „War es schlimm?“, hörte Sascha, aber nur fetzenweise vom gesamten Gespräch. „Weißt Du, Olga, das habe ich den Kindern beigebracht. Ich brachte in den Kindergarten männliche Hoden und ihr Ding, aus Holz, Gummi und Plastik und zeigte, was man machen muss, wenn man von Männern sexuell belästigt wird. Pädophile gibt es in der Gesellschaft viel zu viele und wir müssen unsere Kinder schützen. Ich tat es im vollen Bewusstsein, dass ich missverstanden werde, aber später wird man mir dafür dankbar sein. Der Biss deiner Tochter geht auf mein Konto. Sagt es so dem KGB, dass sie mit solchem Unfug aufhören sollen, wenn sie nicht alle zu Eunuchen werden wollen. Ich fürchte, dein Andrej bringt Michail dafür um. Nein, ich habe keine Angst vor ihnen, nur Ehrfurcht vor Gott empfinde ich und schütze Kinder vor Gefahren des Missbrauchs. Ich muss etwas schlafen, dann werde ich Oxana sprechen. Sie muss in die Therapie. Mach es gut, Olga. Grüße Andrej. Ja, die in Indien war nicht seine Geliebte, wie Du gedacht hast und wie es der alte Severin vorgab. Sie ist eine treue Pastorenfrau. Du hast dich geirrt, wie so oft. Nichts zu danken. Damit ich nicht vergesse: du bist keine Schlampe, wie Du vortäuschst. Du willst deinen Mann eifersüchtig machen und zurück haben. Spiel nicht mit dem Feuer. Er hat seine erste Frau Sophie bereits wegen Krebs verloren. Das hat Wunden hinterlassen. Schone ihn ein bisschen. Auf Wiedersehen. Ich will schlafen und meine Jungs wohl auch.“ Sie legte den Hörer auf, küsste Sascha, warf sich aufs Bett und schlief ununterbrochen zwölf Stunden. Sascha saß neben ihr und las Bücher. „Was würde ich ohne meine Irina tun?“, flüsterte er dahin. Die drei Söhne spielten in der Ecke des Schlafzimmers sehr leise Domino und hörten das Flüstern des Vaters. „Du hast noch uns. Aber wer weiß denn genau, wer als erster diese Welt verlassen wird. Wir werden alle gehen müssen.“, flüsterte einer von den dreien. Er nahm alle drei in die Arme und wurde pathetisch: Tränen flossen aus seinen Augen, er murmelte etwas, was sie nicht verstanden haben, dann ließ er sie los und legte sich neben Irina. Die Kinder gingen ihren Geschäften nach. Bei zwei sich liebenden Menschen verursacht der Gedanke einer möglichen immerwährenden erzwungenen Trennung einen unermesslichen Schmerz.

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