Abenteuer unterwegs
Irina
Nikitina geb. Sokolowa war eine gute Freundin von Olga und Andrej Gribenko. Sie
war mit ihrem Sascha alias Alexander im Urlaub in der Krim. Eines Tages bekam
sie von einem Freund der Familie, der im KGB tätig war, einen Anruf: „Irina,
ich wollte dich im Urlaub nicht stören. Aber in der Familie Gribenko ist etwas
vorgefallen, was dich interessieren müsste.“ „Na, so was. Was denn?“, fragte
sie neugierig. „Die kleine Oxana Gribenko hat einem KGB-Beamten das beste Ding
abgebissen.“ Irina lachte schallend. „Übertreib bitte nicht. Ein fünfjähriges
Kind kann so etwas nicht schaffen.“ „Wie dem auch sei, aber das Opfer liegt auf
dem Operationstisch. Das wird eine Schlampe wie ihre Mutter.“ Irina erwiderte:
„Ich mag keine abschätzigen Aussagen über die Kinder. Hör auf damit. Was macht
Oxana gerade?“ „Keine Ahnung. Ihr Vater wird jeden Augenblick aus Indien
erwartet.“ „Gut. Wie geht es Olga?“ Er lachte: „Sie hat gegen das KGB eine
Anklage beim sowjetischen Bundesgeneralstaatsanwalt eingereicht. Aber sie wird
nichts erreichen.“ „Bist Du sicher?“, fragte Irina. „Zweifellos!“ „Dann warten
wir ab, bis Andrej zu Hause ist.“ Sie bedankte sich beim Freund für die Info
und ging zum Strand, wo sich Sascha mit den drei Söhnen sonnte. „Kinder, es ist
Zeit, dass ihr eine Stunde schwimmen geht. Das Mittagsessen war zu üppig.“ Ohne
Widerrede liefen sie ins Meer und waren bald außer Sichtweite. „Du bist so
nachdenklich und besorgt, Irina.“, fing Sascha an. „Ist in Kiew etwas
Unangenehmes vorgefallen? Ist unser Pastor Velitschko erkrankt?“ Mehr fiel ihm
auf Anhieb nicht auf, zu fragen. Er umarmte sie. Sie schwieg. Auch das war für
ihn nichts Ungewöhnliches. Wenn sie etwas auf dem Herzen hatte, brauchte sie
Zeit, es zuerst allein zu verarbeiten. Sie saßen auf dem Sand und schauten die
Wellen an. Dann stieg er auf und begann, ihr den Nacken zu massieren. Sie lächelte:
„O, das tut gut! Danke Sascha!“ Nach einer Weile öffnete sie sich. „Setz dich,
mein Lieber! Ich muss dir einiges erzählen.“ Er ließ sich neben ihr nieder und
war ganz Ohr. „Du kennst doch Familie Gribenko, oder?“ „Sicher doch. Hat er
sich entschieden, sich im Westen abzusetzen und dort zu bleiben?“, fragte er
neugierig. „Nein, Sascha, das wird er nie tun. Er liebt seine Heimat, ist gern
sowjetischer Spion, aber sich absetzen? Das glaube ich nicht. Es sei denn, es
würde ihm zu Hause eine Gefängnisstrafe für seine Frauengeschichten „blühen“.
Aber Staatsverrat würde er nie begehen. Die Ukraine ist sein Zuhause. Sein Sohn
studiert Jura in der Schweiz und spricht fließend acht Sprachen. Er könnte in
der Schweiz promovieren und die Professorenkarriere beginnen. Aber das wäre
doch kein Verrat, oder? Ja gut, er ist immer unglücklich darüber gewesen, dass
sich die riesige Sowjetunion mit ihren natürlichen Ressourcen nicht so richtig
aufrappeln kann und das reichste Imperium der Welt wird. Aber Verrat? Nicht
Andrej, mein Liebster.“ Sie küsste ihn und legte seinen Kopf auf ihren Schoß.
„Man hat seitens seiner Abteilung einen Blödsinn gemacht. Michail bzw. Mischa,
sein Freund, entführte auf Geheiß des alten Knackers General Severin Andrejs
und Olgas Tochter Oxana. Man hielt sie tagelang in einer KGB-Wohnung gefangen.
Was Michail sich dabei dachte, weiß ich nicht, aber er soll Oxana sein Ding in
den Hals gesteckt haben. Sie erstickte beinahe und biss mit aller Wucht zu. Ob
sie nun Michails bestes Stück ganz abgebissen hat oder nur anbiss, weiß ich
auch nicht. Er liegt jedenfalls in diesen Augenblicken auf dem Operationstisch.
Oxana ist entkommen und jetzt zu Hause bei der Mutter. Aber die psychischen
Folgen sind leider nicht abzusehen.“ Irina merkte nicht, dass es Sascha vor
Lachen schüttelte. „Das hat das Kind gut gemacht! Halleluja!“ Er sprang auf,
nahm Irina in die Arme, hob sie und drehte paar Runden mit ihr im Sand, dann
sagte er: „Komm, lass uns die Jungs holen. Wir brechen den Urlaub ab und fahren
nach Kiew.“ Sie gehorchte. Die Jungs stiegen gerade aus dem Wasser. „Kinder! Es
ist etwas vorgefallen und wir müssen nach Hause. Ihr dürft aber mit der Familie
meiner Schwester bleiben, wenn ihr wollt.“ Der Vorschlag war verlockend. Sie
mochten es, ihre Kusinen zu necken, weil diese sich häufig versteckten und
nackt badeten. Sie waren in der Pubertät und machten viel Blödsinn.
Ihr Pastor wusste davon nichts, sonst hätte er den Eltern schon längst
die Leviten gelesen. „Nein!“, reagierten sie in unisono: „Wir kommen mit.“ Die
besorgten Gesichter der Eltern versprachen nichts Gutes. Es war nicht allzu
viel zu packen. Der Vater ist bereits bei der Ankunft für die Hotelkosten
aufgekommen. Ein Küsschen hier, ein Küsschen da, paar Händedrücke und
Umarmungen und sie waren unterwegs. Irinas Vater Sokolow war nicht mehr da. Oft
hat man über ihn geredet und jedes Mal kamen Irina die Tränen: „Er war ein
guter Vater!“, betonte sie jeweils. „Weißt Du, Sascha, wir müssen es den
Kindern erzählen, was Oxana zugestoßen ist“. Er zögerte eine Weile, dann
überwand er sich und richtete sich an die Kinder: „Jungs, was wir euch jetzt
erzählen werden, darf nicht weitergesagt werden.“ Der älteste Oleg zeigte sich
verletzt: „Haben wir, Vater, jemals etwas aus unserer Familie hinausgetragen?
Es blieb doch immer unter uns. Wir sind doch eine Familie, oder?“ Igor und Alex
stimmten zu. Schon als ganz kleine Kinder brachten die Eltern ihren Söhnen bei,
nichts, aber auch gar nichts aus dem Familienleben ihren Freunden zu erzählen,
obwohl ihre Wohnung stets eine Art Kindergarten war. Die Jungs hatten viele
Freunde. Diese wurden ganz lieb von den Eltern willkommen geheißen und stets
zum Essen eingeladen.
Nach
vier Stunden Fahrt, sagte Mutter: „Halt! Alle aussteigen, und zwar schnell!“
Die Kinder waren im Halbschlaf. „Was ist denn los?“, fragte Alexander. „Schnell
die Pässe aus dem Fach und das Geld. Alles andere kann drin bleiben. Ich
erzähle es dir in wenigen Minuten“. In wenigen Augenblicken war das erledigt.
„Werft euch alle in den Graben! Ohren mit Handflächen zudrücken!“, schrie die
Mutter. Der Befehl war unmissverständlich, aber für die Männer unerklärlich,
bis, ja bis ein Knall folgte und eine furchtbare Explosion. Als alles vorbei
war, hob Oleg seinen Kopf. „Wo ist unser Wagen?“, schrie er los. Alle glotzten
verwirrt auf das Chaussee: ein Riesenkrater, aber weit und breit nichts zu
sehen. „Gott hat es gegeben, Gott hat es genommen. Der Name des Herrn sei
gepriesen!“, sagte Oleg halblaut. Alle hörten es und sagten: „Amen!“ Der
jüngere Alex fügte hinzu: „Seid froh, dass das beste Stück uns erhalten
geblieben ist!“ Ein schallendes Lachen folgte den Worten. „Ja“, sagte die
Mutter, „Wir müssen Hermann Hartfeld bitten, uns einen neuen Van zu besorgen.“
„Einen Van? Wir hatten doch nur seine geliebte Marke Opel. Jetzt soll es ein
Van sein?“, reagierte der Vater. „Wir müssen die Automarke wechseln. Aber,
lasst uns einen Kreis bilden und gemeinsam Gott für die Bewahrung danken“. Sie
stellten sich in einen Kreis und der jüngste Alex schloss die Gebetsgemeinschaft
ab. Dann erzählte Irina, was vorgefallen war. „Als wir uns ins Auto setzten,
war mir bei der ganzen Sache gar nicht wohl. An unserem Wagon wurde herum gebastelt, als wir noch am
Badeort waren. Das beobachtete ich nachts aus dem Fenster. Ich dachte mir, wenn
sie ihn öffnen, geht die Sirene hoch. Dazu kommt noch, dass der Parkplatz ja
bewacht wird. Bevor wir losfuhren guckte ich mir den Wagen von unten und außen
gründlich an. Ich glaubte, ihn genügend inspiziert zu haben. Beim Fahren fielen
mir kaum bemerkbare Geräusche auf. Es hörte sich wie das Ticken einer Uhr an.
Und doch kamen Zweifel auf: Ich muss mich irren. Wer soll uns etwas Böses antun
wollen? Erst als ich das Innenfach öffnete, ein Schluck Wasser zu trinken, sah
ich hinter der Flasche eine kaum bemerkbare, kleinste mir je begegnete
Uhreinrichtung. Ich guckte sie mir ganz genau an und sah, dass die Uhr lief. Es
blieb nur eine Minute und sie wäre abgelaufen und wir nicht mehr da.“ Während
Irina erzählte und die Kinder mit offenen „Mäulern“ zuhörten, beobachtete
Sascha den unweit von der Chaussee liegenden Wald. Kaum bemerkbare Bewegungen
der Sträucher hätten auch von Hasen oder vom Wind verursacht worden sein
können. Aber dann stand jemand auf und
richtete ein im Dunkel unerkennbares Modell von Gewehr in ihre Richtung.
„Irina, Kinder, in den Graben! Schnell! Hinfallen! Und liegen bleiben!“ Jetzt
schrie Vater, panikartig und verängstigt. Kugeln hagelten über ihre Köpfe. Sie
konnten niemanden treffen. Der Vater flüsterte Irina ins Ohr: „Wir kriechen
rückwärts zu den Lichtern. Aber, bitte, langsam.“ Irina flüsterte zurück:
„Warum kamen sie nicht auf uns zu und haben uns nicht einfach hingerichtet?“
Sie fügte hinzu: „Ach ja, sie sind doch nicht verrückt. Sie wissen ganz genau,
dass ich im BH oder sonst wo in der Wäsche immer eine versteckte Kamera trage,
die bei jeder Dunkelheit die besten Aufnahmen macht. Ein Hochzeitsgeschenk
meines Vaters.“ Sascha schmunzelte und flüsterte: „Mein Gott! Auch das noch.
Ich darf dich nachts nicht einmal berühren, dann bin ich schon für ewig
fixiert.“ „Alexander, quatsch doch keinen Unsinn. Du hast immer davon gewusst
und dennoch drei Söhne gezeugt. Ich denke, dass irgendjemand von Michaels
Protegé nicht möchte, dass wir Kiew erreichen. Wir müssen die Männer
überlisten. Sascha, ich wende meine Tricks an und hol mir die Kerle. Und du
passe bitte auf unsere Jungs auf!“ Sie verschwand in der Dunkelheit. „Wo ist,
Mama?“, fragte der jüngste. Er zitterte an Leib und Seele. Sascha nahm ihn in
die Arme. Einer der Jungs, es muss Igor gewesen sein, legte seine Hand um seine
Schulter, Oleg sagte nur: „Glaub doch, Alex, alles wird gut.“ „Werden wir unser
ganzes Leben im Krieg verbringen?“, flüsterte Alex fragend. „Wer weiß das
schon, mein Sohn. Das Leben ist Krieg und Frieden, wie bei Leo Tolstoi
beschrieben, aber lasst uns lieber in der Stille für Mama beten.“ Irina
bedeutete der Familie alles. Sie war eine engagierte Professorin, gute Ehefrau
und Mutter. Sascha unterrichtete am selben Institut, nur an einer anderen
Fakultät. Das wollten beide so und hatten dafür ihre Gründe. Immer fuhren sie
zusammen hin, und auf dem Rückweg noch einkaufen, dann nach Hause. Die
Studenten mochten die beiden sehr, weil sie wie frisch Verliebte vor dem
Unterricht einander viel Erfolg wünschten und nach dem Unterricht einander
wieder in die Arme nahmen, sich küssten und zum Auto gingen. Alle bewunderten
das Paar. Sie wussten aber nichts von ihrer Vergangenheit. Das Buch „Irina“
hatte sie noch nicht erreicht.
Die
Kinder lagen im Graben, schauten zum Himmel und jeder dachte etwas vor sich
hin. Es schien eine Ewigkeit zu vergehen, aber von der Mutter noch keine Spur.
Und endlich hörten sie plötzlich laut:
„Sascha! Oleg, Igor, Alex! Wo seid ihr? Kommt herüber in den Wald! Ich mache
gerade ein Feuerchen. Lasst uns wärmen, etwas essen, schlafen und weiter fahren!“ Alle schossen in
die Höhe und liefen der Stimme zu, wo bereits Licht zu sehen war. Sascha dachte
unterwegs ziemlich ironisch: „Etwas essen? Was denn? Einen Menschenbraten von
den Feinden?“ Als sie im Wald ankamen, sahen sie vier kräftige Männer an Händen
und Füßen gefesselt und Stücke von Mutters Strumpfhosen in ihrem Mund. Alex
reagierte: „Pfui! Das soll mir nie passieren!“ Neben den Männern lagen Kalaschnikows
und ein paar Granaten. Das „Feuerchen“ war zehn Meter von ihnen entfernt. „Hast
Du, Mutter, mit ihrem besten Ding das Feuer entzündet?“, fragte Oleg
unverblümt. „Du Klugscheißer, an die Arbeit. Wir brauchen noch ein paar
Sträucher für das Feuer, um den Hasen zu Ende zu grillen. Alle an die Arbeit,
aber verirrt euch im Wald nicht!“ Vergnügt saß sie am Feuer und war ganz
Mutter. Die Kinder mussten doch genug bekommen. Alle machten sich an die
Arbeit. Nun saßen sie um das Feuer und Alex fragte: „Wie kommen wir nach Kiew?“
Mutter schmunzelte: „Seht ihr da die zwei Wagen?“ Alle starrten in die
jeweilige Richtung. Nichts. Sie sprang auf, ging zum Busch und schob ihn
beiseite. Es war kein Busch, es waren gestellte Sträucher um die Wagen herum.
„Und ihr seid so tief in den Wald gelaufen, nachts Sträucher zu sammeln. Wozu
das denn?“ Die Kinder schüttelten nur den Kopf: „Schon wieder an der Nase
herumgeführt. Eine zusätzliche Lektion gelernt.“, meinte Oleg nachdenklich. Sie
antwortete: „Kinder führe ich nicht an der Nase herum, ich nehme sie liebevoll
auf die Arme.“ Sascha fragte: „Wie hast
Du das nur geschafft?“ Sie lächelte:
„Die Halunken sind zu unerfahren: Einer hat gepinkelt, dem habe ich
schnell unbemerkt das Maul gestopft und gefesselt. Der zweite musste mal
‚groß‘, den ließ ich halb nackt mit heruntergelassenen Hosen sitzen und
fesselte ihn. Ich werde ihm doch nicht den Hintern noch putzen. Das kann
General Severin tun. Der dritte beobachtete eure Bewegungen durch das
Militärfernrohr und suchte mich. Auf den musste ich mich echt setzen und den
Kopf mit dem Fernrohr, das auf mich gerichtet war, k.o. schlagen. Erstmals war
er sprachlos. Wenige Sekunden später war auch er gefesselt. Der vierte war der
schwierigste Fall. Er hat etwas mit Kalaschnikows ‚herumgespielt‘. Ich musste,
o Gott vergib mir, einen nicht sehr großen Klotz um den Schädel hauen. Er fiel
bewusstlos zur Erde und ich fesselte ihn. Wir setzen die vier in ein Auto, den
fährst Du, Sascha; ich fahre mit den Kindern das andere gemütlichere Auto.“ Die
Kinder schauten verliebt auf die Eltern, standen auf und küssten sie. „Aber der
Hase reicht doch nicht für acht Männer und eine Frau?“, sagte der Kleinste.
„Keine Bange, mein Kind. Die Halunken haben viel frisches Brot im Kofferraum beider Wagen und
Wurst hinterlassen. Den Hasen habe ich einfach beim vorbeilaufen erwischt, um
frisches Fleisch zu kosten.“ Oleg ging zu den Männern und fragte: „Seid ihr
hungrig?“ „Ja schon. Wir essen aber nur, wenn Du uns losbindest.“, antwortete
der eine. „Das habe ich leider nicht zu entscheiden. Wenn Vater es erlaubt, dann
ja.“ Er ging zu Sascha: „Darf ich sie losbinden? Sie haben doch Hunger!“ „Oleg,
es ist Nacht. Wir können nicht mit ihren Granaten sitzen und warten, bis sie
ihre Mägen vollgeschlagen haben. So wie ich diese Art von Menschen kenne, haben
sie im Unterschied zu uns ihre Wurst gegessen.“ „Gut, Papa, aber dann esse ich
auch von ihrem Brot und von ihrer Wurst nichts.“ „Es gehört doch uns, mein
Sohn. Mutter wunderte sich, dass unser Kühlschank leer gefegt war und nun
entdecken wir die Ware in ihren Kofferräumen.“ „Ach so. Ma“, schrie er, „ich
will nur einen Hasenschenkel.“ Sie aßen genüsslich und freuten sich, dass alles
so unglimpflich verlaufen war. „Jetzt
aber schlafen, Kinder!“, befahl Alexander. Er drückte Irina an sich und
flüsterte ihr zu: „Ich dachte, ich sehe dich nie wieder!“ „Sascha, vertraue
Gott und alles wird gut! Schlaf jetzt.“ Alex reagierte auf das Gehörte: „In
einem amerikanischen Film sagte ein Schauspieler: ‚Vertraue auf Gott und auf
deine Fäuste‘.“ „Auf die Fäuste ist kein Verlass, mein Sohn. Aber jetzt ist es
an der Zeit, bis zum Morgengrauen etwas Schlaf zu bekommen.“, reagierte Irina.
Sie
wachten von einem heftigen Knall auf, weil einer der „Halunken“ sich zu den
Granaten kullerte, die Zündschnur mit den Zähnen zog und sich in die Luft jagte.
Irina hatte sie vorsorglich etwa fünfzig Meter entfernt „gelagert“. Die
Granaten sollten zum Beweis dem Richter vorgelegt werden. Sie wollte sie noch
in den Kofferraum legen und vergaß davon, sie war zu übermüdet. Die anderen
drei schrien: „Wir sind verletzt! Bindet uns los!“ Irina inspizierte sie und
sagte: „Ihr habt nicht einmal eine kleine Verletzung davon getragen. Euer
Freund hat die Granate unter sich gelegt, bevor sie explodierte. Seine
Handfesseln sind halb gelöst. Ich wundere mich, dass er uns alle nicht
umgebracht hat.“ Irina und Sascha fanden im Auto Plastiksäcke, steckten die
Reste da rein und brachten sie zum Kofferraum. „Hat er Familie?“, fragte sie
die übrigen Männer. „Nein. Er ist schwul. Seine Mutter hat sich vergiftet, sein
Vater kam betrunken unter ein Auto.“ Irina schüttelte nur den Kopf und gab das
Kommando: „Ihr drei, ins Auto zu eurem Freund. Mein Man wird sie fahren.
Vergesst nicht: Alles, was hier passierte, ist auf meiner Kamera fixiert.
Sollte unterwegs mit meinem Mann etwas passieren, seid ihr wie tot.“ Sie ging
mit den Kindern zum anderen Wagen. „Ma, erlaube mir, mit Vater zu fahren. Ich
habe so ein blödes Gefühl.“ „Gut, Sohn. Nicht vergessen, die Männer
anzuschnallen. Du schnall dich auch an“. Die Motoren arbeiteten im Einklang.
Bald waren sie auf der Chaussee, aber auf Umwegen durch den Wald.
Endlich
erreichten sie Kiew. Irina hielt ihr Auto noch vor Kiew auf einem kleinen
Parkplatz an. Sie stieg aus und die Kinder mit ihr. Sascha hielt hinter ihrem
Wagen. „Binde sie los. Ja, meine Strumpfhose in ihren Mäulern kannst Du
wegwerfen. Ich hatte sie zwei Tage nicht gewechselt, jetzt werden sie zwei Tage
an sie denken und kotzen. Gut so. Die Kalaschnikows gib ihnen zurück. Sie sind
entladen. Die Magazine mit Kugeln finden sie im Wald an den Bäumen hängen. Die
Granaten sind in ihren Taschen doppelt eingenäht.“ „Wann hast Du das
geschafft?“, fragte Sascha verblüfft. „Ach ja, so meine Kunst. Ihr ward mit den
Feuerresten beschäftigt und ich mit den Granaten. Eine gute Bescherung für Severin.“
Sie rief die drei Männer zu sich: „So Leute, ich hatte große Versuchung, euch
zu Eunuchen zu machen. Aber an allem ist der alte Severin schuld. Sagt ihm,
wenn er nochmals mit meiner Freundin Olga so tut, als wenn sie seine Geliebte
wäre, findet er sein gutes Ding auf dem Londoner Tower. Ich muss nämlich in
zwei Wochen dahin. Grüßt eure Auftragsgeber von mir. Jetzt ins Auto und los!
Vergesst nicht, zu tanken.“ Sie verschwanden so schnell, dass Alex sagte: „Sie
hatten ja im Hintern eine Rakete!“ „Irina, spielst Du nicht mit dem Feuer?“,
fragte Sacha. „Das habe ich doch immer getan. Das müsstest Du doch wissen. Ich
bin aber eine dir sehr untertänige Frau, nicht wahr, mein lieber Mann? Ein
Taxi!“ Sie hielt das Taxi an. In 20 Minuten telefonierte Irina schon mit Olga.
„War es schlimm?“, hörte Sascha, aber nur fetzenweise vom gesamten Gespräch.
„Weißt Du, Olga, das habe ich den Kindern beigebracht. Ich brachte in den
Kindergarten männliche Hoden und ihr Ding, aus Holz, Gummi und Plastik und
zeigte, was man machen muss, wenn man von Männern sexuell belästigt wird.
Pädophile gibt es in der Gesellschaft viel zu viele und wir müssen unsere
Kinder schützen. Ich tat es im vollen Bewusstsein, dass ich missverstanden
werde, aber später wird man mir dafür dankbar sein. Der Biss deiner Tochter
geht auf mein Konto. Sagt es so dem KGB, dass sie mit solchem Unfug aufhören
sollen, wenn sie nicht alle zu Eunuchen werden wollen. Ich fürchte, dein Andrej
bringt Michail dafür um. Nein, ich habe keine Angst vor ihnen, nur Ehrfurcht
vor Gott empfinde ich und schütze Kinder vor Gefahren des Missbrauchs. Ich muss
etwas schlafen, dann werde ich Oxana sprechen. Sie muss in die Therapie. Mach
es gut, Olga. Grüße Andrej. Ja, die in Indien war nicht seine Geliebte, wie Du
gedacht hast und wie es der alte Severin vorgab. Sie ist eine treue
Pastorenfrau. Du hast dich geirrt, wie so oft. Nichts zu danken. Damit ich
nicht vergesse: du bist keine Schlampe, wie Du vortäuschst. Du willst deinen
Mann eifersüchtig machen und zurück haben. Spiel nicht mit dem Feuer. Er hat
seine erste Frau Sophie bereits wegen Krebs verloren. Das hat Wunden
hinterlassen. Schone ihn ein bisschen. Auf Wiedersehen. Ich will schlafen und
meine Jungs wohl auch.“ Sie legte den Hörer auf, küsste Sascha, warf sich aufs
Bett und schlief ununterbrochen zwölf Stunden. Sascha saß neben ihr und las
Bücher. „Was würde ich ohne meine Irina tun?“, flüsterte er dahin. Die drei
Söhne spielten in der Ecke des Schlafzimmers sehr leise Domino und hörten das
Flüstern des Vaters. „Du hast noch uns. Aber wer weiß denn genau, wer als
erster diese Welt verlassen wird. Wir werden alle gehen müssen.“, flüsterte
einer von den dreien. Er nahm alle drei in die Arme und wurde pathetisch:
Tränen flossen aus seinen Augen, er murmelte etwas, was sie nicht verstanden
haben, dann ließ er sie los und legte sich neben Irina. Die Kinder gingen ihren
Geschäften nach. Bei zwei sich liebenden Menschen verursacht der Gedanke einer
möglichen immerwährenden erzwungenen Trennung einen unermesslichen Schmerz.
Kommentare
Kommentar veröffentlichen