Moskau-Reise im Oktober 2012


Moskau-Reise: die baptistischen Superintendenten und die baptistische Ausbildungsstätte – das theologische Seminar von Moskau
Liebe Freunde,
Die überraschende und nicht geplante Reise zum theologischen Seminar von Moskau (6. bis 12.10.2012) war nicht unproblematisch. Erstens war sie von uns nicht eingeplant gewesen und zweitens hatten wir kein Geld, die Tickets zu bezahlen. Denn Ende des Jahres kommen Ausgaben auf uns zu, die beglichen werden müssen. Das zur Einleitung und nun zu entsprechenden Erlebnissen, Ereignissen und Erfahrungen.
Am 7.10. besuchten meine Frau und ich den Gottesdienst in der „Golgathakirche“ der Baptisten. Meine thematische Predigt sollte heißen: „Ziele und Strategien der Gemeinde, um dem Missionsauftrag Christi gerecht zu werden“. Nach dem russischen Gottesdienst fand ein tadschikischer und anschließend ein englischer statt. Der Tag war total ausgefüllt. Erschöpft kamen wir in unser Zimmer zurück, aber es wartete schon eine junge Christin auf uns mit der Frage, ob sie einen Geschäftsmann heiraten dürfte, der nicht Christ ist. Was denkt ihr darüber? Etwa um Mitternacht gingen wir schlafen.
„Pussy Riot“: Das Berufungsgericht bestätigte die Entscheidung der Richterin Marina Syrowa, aber entließ Jekaterina Samuzewitsch, eine von den drei Punk-Sängerinnen aus der Haft auf Bewährung. Sie kam nicht dazu, an der Vorführung des Punksongs in der Christ-Erlöser-Kirche teilzunehmen, sie wurde daran gehindert. Die Entschuldigung der Mitglieder der Punkband, die Gefühle der orthodoxen Christen verletzt zu haben, wurde nicht berücksichtigt und die anderen zwei Mitglieder kommen für zwei Jahre ins Straflager. Wir appellierten an das Berufungsgericht, die Strafen der Frauen wegen einer Ordnungswidrigkeit auf Bewährung auszusetzen, aber das Gericht folgte wohl dem Druck von Putin und bestätigte das erste Urteil. Die russischen Baptisten diskutieren sehr emotional diese Thematik. Dieses Thema beschäftigte auch die baptistischen Bischöfe, jedoch eher zugunsten der ROK.
Die Vorlesungsreihe „Der Pastor in der postmodernen Gesellschaft“ begann mit einem Eklat, ich wurde mit einer Reihe von Fragen überhäuft. (1) Stimmt es, dass EFG Kamp-Lintfort einen christlich-muslimischen Fernsehgottesdienst veranstalten hat? Die Teilnehmer stellten die Frage, und zwar sehr emotional geladen, als hätte ich, der vormalige Pastor dieser Gemeinde, diesen Gottesdienst selbst zu verantworten. Ich gab eine Stellungnahme ab, wie ich sie in meinem Leserbrief in der Zeitschrift Gemeinde Nr. 16/2012 beschrieben habe. (2) Die zweite Frage bezog sich auf den Pastor Wolf Bruske, der sich als schwul geoutet hat und homosexuelle Paare segnet. Ich erklärte ihnen, dass Bruske nicht mehr im Gemeindedienst steht und die deutsche Bundesleitung der EFG für seine Handlungen die Verantwortung nicht mehr tragen muss. Mich verwunderte es sehr, dass die russischen Bischöfe bestens über unsere Bundesgemeinschaft informiert sind. Sie sprachen auch davon, dass eine Reihe deutscher Baptistenpastoren Christen mit homosexueller Orientierung in die Gemeinden aufnehmen und segnen. Und das sei unbiblisch und ein Skandal, resümierten sie. Das entzog sich jedoch meiner Kenntnis und ich sagte nur: „Ich bin schlicht und ergreifend überfordert, was diese Frage angeht. Ich weiß es nicht“. (3) Die dritte Frage betraf unsere Ortsgemeinde Köln. „Stimmt es, dass eure Gemeinde einen Pfingstpastor berufen hat?“ Ich verlor so langsam die Geduld, verhört zu werden, und meinte: „Jede Gemeinde des Bundes ist autonom und die Mehrheit der Glieder entscheidet, wer ihr nächster vollamtlicher Mitarbeiter wird.“ Sie gaben nicht nach: „Wie können sie als Ehepaar noch in dieser Gemeinde bleiben? Die Pfingstchristen hätten doch außer Spaltungen unter den Baptisten Russlands nichts Positives zu verzeichnen“. Ich schwieg und dachte an die Zeit im sowjetischen Gefängnis, als wir Baptisten, Pfingstler, Adventisten, Mitglieder der ROK geschwisterlich miteinander umgingen und einander moralisch unterstützten. (4) Die vierte Frage betraf das theologische Seminar Elstal und die Frauenordination. Ihr Resümee: Die wissenschaftliche Theologie führe zur Bibelkritik und Ablehnung der Jungfrauengeburt und der Auferstehung Jesu Christi. Ich zuckte nur mit der Schulter und meinte, ich hätte auch wissenschaftliche Theologie studiert und glaube dennoch an die Auferstehung Jesu.
Nach diesem Verhör fühlte ich mich total demontiert und wollte alles hinwerfen, mich in den Flieger setzen und nach Hause reisen. Einige russlanddeutschen Ältesten stehen mit den russischen Bischöfen in Kontakt und füttern sie mit halbwahren Informationen. Ich machte Pause und setzte mich mit dem Rektor zusammen und besprach das weitere Vorgehen. Ich spürte, dass er geknickt war und dennoch seine Kollegen in Schutz nahm. Die westlichen Christengemeinden würden ja tatsächlich Homosexuelle als Pastoren ordinieren und demgemäß unbiblisch handeln. Ich rastete aus: „20 Jahre habe ich in Moskau unterrichtet und nie waren alle angesprochenen Themen ein Problem, wieso jetzt?“ Er erklärte, dass der russische Baptismus unter Einfluss des amerikanischen christlichen Fundamentalismus stehe.
Diesmal unterrichtete ich die Bischöfe das 2. Mal und die erste Gruppe war mir sehr zugetan. Es regte mich auf auch wegen den Finanzen. Wir leerten unser Konto, um diese Reise anzutreten. Wir wissen nicht, wie wir allen finanziellen Verpflichtungen gerecht werden. Wir kommen mit meinen tausend EURO Rente monatlich gut aus, aber die Reisen sind einfach nicht einkalkuliert. Dennoch entschlossen wir uns, diese Reise zu machen. Der Rektor klärte mich auf: Ich müsste doch berücksichtigen, dass diese Bischöfe unter dem Einfluss des calvinistischen amerikanischen Pastors von Grace Community Church in Sun Valley Kalifornien John Fullerton MacArthur stehen und aus seiner Vogelperspektive alle anderen Kirchen und Gemeinden beurteilen. Er ist der Geldgeber für „seine“ theologischen Schulen in Sibirien und Ukraine, er hat ein Schulungszentrum in Berlin eröffnet und russlanddeutsche Baptisten engagiert, seine Bücher zu verbreiten. Dank ihm gibt es unendliche Spaltungen in den russischen Baptistengemeinden etc., etc. „Die von ihm gut bezahlte russische Pastoren machen eine ‚ganze Arbeit‘. Sie dominieren den russischen Baptistenbund.“ Das genügte mir.
Ich ging ins Auditorium zurück und begann mit der Offensive: „Gut. Das westliche europäische Christentum ist nach euren Worten durch und durch verdorben. Billy Graham und andere hervorragende Diener des Evangeliums taugen gemäß den Aussagen von MacArthur nichts. Ich bin da, nicht um zu lehren, sondern von euch zu lernen. Sagt mir, wie ein Pastor in der postmodernen Gesellschaft seinen Dienst tun soll. Ich sehe, dass einige von euch sich mit dem Geld von John MacArthur Autos wie den berühmten Mercedes leisten, ich muss leider als armer baptistischer Pastor mit Opel Corsa mich begnügen. Geld für eine andere Automarke habe ich nicht. Entschuldigung für den Hinweis. Jetzt seid ihr dran“. Die Offensive hat gewirkt. Es ergab sich eine sehr lebhafte Diskussion und ich konnte ohne Widerstand meine Vorlesungen fortsetzen. Die anschließende Feier verlief auch gut und wir verabschiedeten uns friedlich und liebevoll.
Nach diesem Abenteuer fragen wir uns, ob es Sinn macht, weitere Opfer zu bringen und in Moskau weiter zu unterrichten. Es wäre schade, wenn wir das Feld dem amerikanischen Pastor MacArthur überlassen würden, aber unsere Generalsekretärin kann sich als Frau nicht ohne Weiteres dort zeigen und die Professoren vom theologischen Seminar auch nicht ohne Folgen. Am Rande der Vorlesungsreihe einigte wir uns, dass ein Generalsekretär des russischen Baptistenbundes berufen werden soll. Meine vorgeschlagene Kandidatur wurde wohlwollend zur Kenntnis genommen. Ich denke der zukünftige Generalsekretär, ein guter Freund von mir, wird einen guten Dienst leisten. Wir beten weiter für die russischen Baptisten, eigentlich für alle Christen und hoffen, alles wird gut, wie Nina Ruge jeweils am Ende ihrer Sendungen sagte.

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